Er gilt als einer der einflussreichsten Fotografen des 20. Jahrhunderts: Der schweizerisch-amerikanische Fotograf Robert Frank. Nun ist er im Alter von 94 Jahren gestorben.
Urs Stahel ist ein Kenner Robert Franks. Er ist Co-Gründer des Fotomuseums Winterthur und hat dort vor einigen Jahren auch eine grosse Ausstellung der Werke Robert Franks kuratiert.
SRF: Robert Frank gilt als einer der wichtigsten Fotografen des 20. Jahrhunderts. Warum diese grosse Bedeutung?
Urs Stahel: Robert Frank konnte Mitte der 1950er-Jahre mit einem Guggenheim-Stipendium nach Amerika. Er hat das Land so fotografiert, wie es sich zeigte: alltäglich, aber auch in seiner ganzen existenziellen Verunsicherung.
Damit hat er ein Werk geschaffen, das wir heute zur subjektivierenden Dokumentarfotografie zählen, was eigentlich die Begründung dieser Richtung ist. Dass man die Welt dokumentarisch, direkt und alltäglich anschaut.
Damit hat er auch viele andere Fotografen beeinflusst.
Ja. Seit Robert Frank ist dieses Thema des subjektiven Zugangs auf die Welt – mindestens bis Ende des 20. Jahrhunderts – ein Leitfaden der Fotografie gewesen.
Besonders berühmt ist seine Serie «The Americans», Bilder von seinen Reisen durch Amerika. Was hat er da gesucht und gefunden?
Er wollte eine philosophische Essenz seines Gefühls in Amerika wiedergeben. Wenn man benennen will, was auf diesen Fotografien ist, kann man sagen: darin spürt man das Leben und die grosse Verletzlichkeit der Gesellschaft in den Fünfzigerjahren.
Amerika hatte damals diese McCarthy-Ära, als es heftige Bewegungen gab gegen jegliche sozialdemokratische oder kommunistische Tendenzen. Es war ein sehr schwieriger Moment.
Als das Buch dann in Amerika herausgekommen ist, wollte man Frank zum Teufel jagen. Man wollte ihm das sagen, was manchmal auch hier in der Schweiz gesagt wurde: «Hau ab, du Fremder, der unser Land mit deinen Bildern verschmutzen willst.»
Man hat ihn nicht von Anfang an verstanden und nicht goutiert, was er gemacht hat, weil er so schonungslos war.
… weil es so direkt war, weil es so nahe war, weil er – das haben ein paar Kritiker schön herausgearbeitet – mit seiner eigenen Verletzlichkeit der Verletzlichkeit dieses grossen Kontinents begegnet ist. Man spürt darin eine grosse Fragilität.
Sie wissen, wie die Fotografie häufig ist: Man stellt sich in Pose und wird abfotografiert. Das war früher bei den Porträtfotos so, heute bei der Modefotografie. Bei ihm war es das Gegenteil. Es ist eine existenzielle Verletzlichkeit in seinen Bildern zu spüren.
Ist es das, was ihn auch heute noch aktuell macht?
Ich glaube schon. Wir hatten in den 1940er- und 50er-Jahren den französischen Existenzialismus als grosse Philosophie-Richtung und Frank ist der Mitbegründer eines fotografischen Existenzialismus, der bis heute trägt.
Aber er ist ja nicht nur ein grossartiger Fotograf gewesen. Vielleicht lässt uns gerade die Tatsache, dass er als Fotograf so berühmt ist, vergessen, dass er auch als Begründer des Independent Cinema gilt. Er hat nicht-narrative, nicht-erzählerische, sehr experimentelle Filme gemacht.
Nachdem er «The Americans» publiziert hat, hat er gesagt: «Mit dieser Fotografie habe ich abgeschlossen.» Dann hat er angefangen zu filmen.
In den 1970er-Jahren ist er dann doch zurückgekehrt zur Fotografie, aber auch mit hoch experimentellen Polaroids. Er hat sich dreimal neu erfunden, und in jedem dieser Bereiche ist er weltberühmt.
Sie haben ihn auch persönlich kennengelernt, sie haben eine grosse Ausstellung von ihm kuratiert. Wie war er als Mensch?
Es gibt so einen schönen amerikanischen Ausdruck: «grumpy». Er war ein grummliger, älterer Herr, der aber mit grosser Neugierde auf jeden Menschen zugegangen ist, der ihn besucht hat.
Das Gespräch führte Remo Vitelli.