Zuerst ist da die Neugier, wenn Floristinnen und Floristen die Kunstwerke aus der Sammlung des Aargauer Kunsthauses interpretieren. Wie beblumt man einen Ferdinand Hodler? Mit welchen Halmen umgarnt man abstrakte Malerei?
Blumen gehen direkt ins Herz.
Bei Blumen gehe es immer auch um Emotionen, sagt Floristin Franziska Bürgi Rey und steckt eine Spiere in ein Meer von schwebenden Ästchen, mit denen sie die Grafitstriche einer grossen Zeichnung nachahmt. «Jede und jeder hat einen emotionalen Bezug zu ihnen.» Das gepflückte Sträusschen, der Kranz an der Beerdigung: «Blumen sind häufig im Spiel, wenn wir offen und verletzlich sind. Deshalb gehen sie direkt ins Herz.»
Projektverantwortliche vom Kunsthaus Aargau Silja Burch nickt: «Blumen sind vielen Menschen nah und erleichtern den Zugang zur Kunst.» Die 18'000 Menschen, die sich während nur sechs Tagen ins Kunsthaus drängen, geben ihr recht. Während Bilder häufig geradlinig und streng geschützt von den Wänden auf uns blicken, stehen die Blumen lebendig und fassbar im Raum und berühren uns.
Schönheit im Moment finden
Florale Werke können nur für kurze Zeit bestaunt werden. In einer Zeit, in der alles jederzeit verfügbar ist, hat das etwas Wohltuendes. «Das erklärt auch die Anziehung der Kirschblütensaison in Japan», sagt Franziska Bürgi Frey. «Man weiss, so schön wie jetzt wird es nie mehr.»
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Bild 1 von 5. Fliegende Blumen: Florale Interpretation von Shreeram Kulkarni & Adarsh Suresh, Mumbai zum Werk von Leiko Ikemura «Sterbebett» (1983). Bildquelle: David Aebi.
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Bild 2 von 5. Die Farben der Blumen treten mit den Farben des Bildes ins Gespräch: Florale Interpretation von Katrin Riedwyl zum Werk «Regard tordu sur corps assis» (2023) von Andriu Deplazes. Bildquelle: ProLitteris/David Aebi.
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Bild 3 von 5. Florale Interpretation von Walter Zellweger zum Werk von Jean Pfaff (*1945) «Spaltkasten» (1974). Bildquelle: David Aebi.
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Bild 4 von 5. Florale Interpretation von Melina Anderegg zum Werk von Karl Ballmer «Engel» (um 1926/1927). Bildquelle: David Aebi.
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Bild 5 von 5. Florale Interpretation von Veronika Tsukamoto zum Werk von Franz Fedier «Regenbild (Farbautonomie)» (1959). Bildquelle: David Aebi.
Ein Kunstwerk kann über Jahrhunderte bestehen, Menschen leben im Schnitt etwas über 80 Jahre, Schnittblumen nur wenige Tage. Sie blühen und welken vor unseren Augen und leben uns im Zeitraffer unsere Endlichkeit vor.
Endlich ist auch unser Planet und seine Ressourcen, könnte man mit Blick auf das Ausstellungsdatum argumentieren. Macht so ein Schnittblumenmeer im März, lange vor lokaler Blütezeit klimatechnisch Sinn? «Der Zeitpunkt ist super gewählt, da sich alle auf den Frühling freuen», erklärt Silja Burch. Ein weiteres Argument: Floristinnen und Floristen sind ab April sehr beschäftigt.
Auch im Museum setze man sich mit Ressourcenfragen auseinander. Man diskutiere beispielsweise, wie viele Leihgaben von weither geholt werden müssen oder achte darauf, dass Ausstellungsmaterialien wie Sockel wiederverwendet werden können.
Lieber die heimische Hagebutte
Die Klimafrage dürfe und solle man sich in der Blumenbranche stellen, meint Franziska Bürgi Rey: «Ich habe in letzter Zeit keine Rose freiwillig eingekauft.» Auch wenn viele Kunden aus Gewohnheit nach Rosen fragen, versuche sie ihnen lokale Blumen schmackhaft zu machen. Wie wäre es stattdessen mit einem Hagenbuttenzweig, umrankt mit Efeu und Tulpen aus der Region?
Ein gewisses Umdenken habe schon stattgefunden, doch «unser Auge und unsere Gewohnheiten brauchen Zeit». Und Menschen, die mit gutem Vorbild vorangehen.
Trends ändern sich, die Anziehung der Blumen bleibt. Wo Worte an ihre Grenze kommen, können Blüten vermitteln, erfreuen oder trösten. «Die Werkauswahl bietet durchaus einen Raum zum Nachdenken – gerade in turbulenten Zeiten», sagt Silja Burch.
Gerade in turbulenten Zeiten können sie einem für einen Moment aus dem Chaos herausholen, ergänzt Franziska Bürgi Rey. Das gelte nicht nur für die perfekt aufgeblühte Blume. Auch die welkende Blume verdiene Aufmerksamkeit. «Wenn man richtig hinschaut, ist das Welken wunderschön».