Worum geht es bei der Debatte um die Benin-Bronzen? Sogenannte Benin-Bronzen sind Kunstwerke aus dem ehemaligen afrikanischen Königreich Benin, im heutigen Nigeria. Die Briten haben sie 1897 geraubt, einige Objekte fanden ihren Weg in europäische Museen.
Die Benin Initiative Schweiz stellt nun fest: Rund die Hälfte der 100 Benin-Objekte in Schweizer Museen wurden sicher oder wahrscheinlich geraubt. Schweizer Museen zeigen sich offen für Restitutionen.
Wie reagiert Nigeria auf die Rückgabebereitschaft? Im Moment gibt es offiziell noch keine Reaktion, zumindest nicht in nigerianischen Medien. Allerdings ist dort die Restitution der Benin-Bronzen ein Randthema. Intern werde jedoch sehr viel darüber gesprochen. «Die Rückgabebereitschaft ist für Fachleute und Behörden ein wichtiger Schritt», ist sich die Journalistin Katrin Gänsler sicher, die seit vielen Jahren in Nigeria lebt und arbeitet.
Wie kam die Rückgabe von 20 Bronzen aus Deutschland in Nigeria an? Vor allem unter Wissenschaftlerinnen, Museumsleitern und Kunstschaffenden sei die Freude über die Rückgabe gross gewesen, so die Journalistin. Die deutsche Aussenministerin Annalena Baerbock kam damals persönlich vorbei und entschuldigte sich für die Geschehnisse in der Kolonialzeit. Die Rückgabe bezeichnete sie als einen längst überfälligen Schritt. Das kam in Nigeria gut an.
Trotzdem: «Innerhalb der Bevölkerung hat es praktisch keine Debatte über die Rückgabe der Bronzen gegeben», sagt Gänsler.
Wieso scheinen die Rückgaben bei der nigerianischen Bevölkerung kein grosses Thema zu sein? In Nigeria sind viele Menschen mit dem Überleben beschäftigt. Das Land hat etwa 220 Millionen Einwohnerinnen und Einwohner. 133 Millionen Menschen gelten als arm. Die Gewaltrate ist sehr hoch und hat in den vergangenen zwei Jahren zusätzlich zugenommen.
Zudem ist Nigeria kein einheitliches Gebilde: Es werden mehr als 500 Sprachen gesprochen, es gibt Hunderte verschiedene ethnische Gruppen – die Identifizierung verläuft entlang der Religion oder der ethnischen Zugehörigkeit. «In Nigeria gibt es kaum ein Gemeinschaftsgefühl», erklärt Katrin Gänsler. «Ausser vielleicht, wenn die nigerianische Fussballmannschaft spielt.»
Welche Rolle spielt die Aufarbeitung der Kolonialgeschichte bei den anstehenden Parlamentswahlen in Nigeria? Die Aufarbeitung sei bei der Wahl kein Thema. «Es geht darum, wessen Gesicht im Land bekannt ist und wer die besten Wahlversprechen macht.»
Für die Bevölkerung ist wichtig, dass grundlegende Bedürfnisse erfüllt werden: eine Verbesserung der Sicherheitslage, eine intakte Infrastruktur, bessere Bildung und eine funktionierende Gesundheitsversorgung. «Die Aufarbeitung der Kolonialgeschichte spielt eine kleine Rolle», so Katrin Gänsler.
Sind die Restitutionen trotzdem bedeutsam? «Die Rückgabe ist wichtig, denn: Afrika wird nicht länger als geschichtsloser Kontinent gesehen», sagt Katrin Gänsler. Gerade Nigeria werde seit den Debatten als ein Land wahrgenommen, in dem eine Vielzahl an Kunst- und Kulturgegenstände entstanden sei.
«Das schafft ein neues Selbstbewusstsein und einen anderen Blick auf das Land Nigeria und den Kontinent Afrika», sagt Gänsler. Ausserdem führe diese Rückgabe dazu, dass es in anderen Regionen Nigerias, aber auch in Westafrika zu einer Debatte um Restitutionen kommt.