Eines Tages sei ihm aufgefallen, dass die Holzbretter der Munitionskisten ähnlich beschaffen seien wie der Untergrund klassischer Ikonen, erzählt der Künstler Olexander Klymenko. Unbehandeltes Holz, etwa 50 mal 50 Zentimeter gross.
Seit dem Angriff Russlands auf die Ukraine sind die leeren Munitionskisten ein wertvoller Rohstoff für das Kunstprojekt von Klymenko und seiner Frau Sonia Atlantova. Soldaten und Freiwillige sammeln und bringen ihnen die Kisten. Das Paar verwandelt diese dann in Ikonen, die in der Orthodoxie seit über 1000 Jahren für Leben und Hoffnung stehen.
Fenster in eine göttliche Welt
Ikonen und Kriegsmaterial, das passe eigentlich nicht zusammen, erklärt Sonia Atlantova: «Die Kisten werden geöffnet, Munition wird herausgenommen, verschossen, und die leeren Kisten sind Müll.» Die Ikonen dagegen seien wie ein «Fenster in eine andere Welt».
Atlantova war schon vor dem Krieg Ikonenschreiberin und gestaltete Fresken in Kirchen. Es heisst tatsächlich «schreiben» und nicht «malen», da es in der Ikonentradition darum geht, eine andere, transzendente Wirklichkeit zu vermitteln.
Es handle sich dabei um «geschriebenes Evangelium», also eine vermittelte «Frohe Botschaft», weiss Stefan Kube, Ostkirchenexperte und Leiter des Instituts G2W. Er hat mit seinem Institut die Ausstellung von Klymenko und Atlantova in die Schweiz geholt. Das G2W ist das «Ökumenische Forum für Glauben, Religion und Gesellschaft in Ost und West».
Arbeiten gegen die Angst
Für die Künstlerin Sonia Atlantova sei ihre Arbeit «etwas Therapeutisches», wie sie erzählt. Denn sie nehme ein Brett, das sie an den Krieg und den Tod erinnere, und gestalte es um, etwa zu einem Bild der Muttergottes, die einen blumengeschmückten Umhang trägt.
Dieses lebendige und schöne Motiv verwandle das Brett in etwas Helles und Hoffnungsvolles. «Und schliesslich hört es auf, mich zu beängstigen», so Atlantova.
Die Ikonen des Künstlerpaares beziehen sich auf die ostkirchliche Tradition, setzen diese nun aber mit ihren eigenen aktuellen Geschichten fort. Sie schreiben sozusagen in den Krieg hinein.
Das Böse bezwingen
Ihre Werke zeigen unter anderem Christus, der sein Leiden erwartet, oder «Heilige Krieger», die das Böse besiegen. «Ich wünschte so sehr, es käme jemand aus dem Himmel herab, der uns hilft», sagt Atlantova.
Ein anderes Motiv zeigt die Muttergottes, die über einem ukrainischen Getreidefeld schwebt, es segnet und beschützt. Auch dieses Motiv ist für Atlantova hochaktuell und aus der Erfahrung des Krieges heraus entstanden.
Besonders anmutig sind drei Ikonen, die wie ein Triptychon zusammenstehen und mit Blattgold verziert sind. Es seien zwei Erzengel und Christus, erklärt die Künstlerin: «Wir wollten etwas Wunderschönes auf die Kisten schreiben. Auf den einfachen grauen Brettern erscheint etwas Strahlendes».
Der Kreislauf der Kisten
Mit ihren Werken wollten sie dem Tod das Leben entgegensetzen, sagt Olexander Klymenko. Deswegen geht der Erlös aus dem Verkauf der Ikonen an zwei Hilfsprojekte: ein Spital sowie ein weiteres Projekt für Kriegsbetroffene.
Klymenko nennt das den «Kreislauf der Kisten». Ähnlich wie beim Wasserkreislauf gebe es einen Transformationsprozess: Die Kisten kommen von der Front ins Atelier, gelangen als Ikonen in die Ausstellungen und werden durch den Verkauf in finanzielle Hilfe umgewandelt. Als solche fliessen sie zurück in die Ukraine.