Wie kam es, dass Friedrich Glauser die Wachtmeister-Studer-Krimis, mit denen er Furore machte, mehrheitlich in psychiatrischen Kliniken schrieb? Wie kam es, dass er von seinem 22. Altersjahr bis zu seinem Tod mit 42 entmündigt war?
Dank des neuen Buches «Jeder sucht sein Paradies … Briefe, Berichte, Gespräche» kann man Friedrich Glauser genauer sehen. Teils bislang unveröffentlichte Dokumente geben Einblick in Glausers Kampf um seine persönliche Freiheit, seinen Weg als Schriftsteller und die vielfältigen «Häutungsprozesse» seiner Seele.
Lebenslang morphiumsüchtig
Geboren wurde Friedrich Glauser in Wien als Kind einer österreichischen Mutter und eines Schweizer Vaters. Früher Verlust der Mutter, schwierige Beziehung zum Vater. Schulabbruch in Österreich, Landerziehungsheim in der Schweiz, Suizid-Versuch, Rausschmiss aus dem Heim.
Mit 21 nahm er das erste Mal Morphium – zur Linderung der Schmerzen einer beginnenden Lungentuberkulose. Glauser blieb süchtig bis ans Lebensende.
Die mit der Sucht verbundene Beschaffungskriminalität war es letztlich, die Glausers Vater, einen Romanistikprofessor, veranlasste, den Sohn bevormunden zu lassen.
Und so begann das Karussell: Internierung in Irrenanstalten, wie es damals hiess, Ausbrüche, Gefängnisaufenthalte, zwei Jahre Fremdenlegion in Marokko. Dazwischen kleine Chancen zu Berufstätigkeiten oder Ausbildungen: alle vertan.
Tragödie und Zeitgeschichte zugleich
«Jeder sucht sein Paradies…» ist das Dokument einer Tragödie und Zeitgeschichte zugleich: «Glauser ist ein gemeingefährlicher Geisteskranker, der am 14. Juli 1920 in hiesiger Stadt aufgegriffen und der Irrenstation Holligen zugeführt wurde.»
So steht es in einem Polizeibericht der Stadt Bern, als Glauser mal wieder auf der Flucht war und wäre heute wohl kaum mehr denkbar.
Zucht- und Irrenhäusern blies in den 1920er und 1930er-Jahren ein rauer Wind entgegen. Glauser, der grosse Charmeur, konnte die Dinge oft zu seinen Gunsten wenden.
Und in den amtlichen Dokumenten, die ihn betrafen, findet sich neben harschem Tadel auch rührend Komisches – etwa im Protokoll des Vormunds betreffend Zahlungsabsichten von Glausers Vater.
«Wenn nun aber Prof. Glauser die ganzen Internierungskosten seines Sohnes zahlen muss, so ist er nicht mehr willens, dem Sohn ein Taschengeld auszusetzen; derselbe soll sich das Taschengeld mit allfälligen literarischen Arbeiten verdienen.»
Die eigene Stimme finden
Zehn Jahre seines Lebens verbrachte Friedrich Glauser in Anstalten. Er litt nicht nur. Er traf auf Psychiater, die ihm Hilfe und Freundschaft anboten und seine literarische Arbeit förderten. Und er schätzte den Schonraum, in dem er frei von alltäglichen Pflichten zu einer eigenen Stimme finden konnte.
Er fand sie. Und er fand den Erfolg, obwohl er entmündigt war. Es lag an seiner Drogensucht, dass er die Freiheit nie zurückbekam. Insbesondere die erstmals veröffentlichten Texte in «Jeder sucht sein Paradies …», zeigen einen Glauser, der alle betrügt und vergrault: Vater, Vormunde, Psychiater, Freundinnen und Freunde, Geliebte.
Glauser war ein Junkie, dem nicht zu helfen war. Aber im Zerrspiegel seines Lebens fing er ein faszinierendes literarisches Universum auf – thematisch, indem er sich mit Menschen am Rand solidarisierte, sprachlich und formal, indem er Grenzen verschob.