Mit der Wahl von Schaibles Bilderbuch zeigt die Jury einmal mehr ihr Flair für Werke, deren Künstler und Künstlerinnen experimentierfreudig sind. Letztes Jahr war das Siegerbuch Martin Panchauds «Die Farbe der Dinge» – ein Buch voller Piktogramme, Infografiken und Symbole.
Dieses Jahr ist es ein Bilderbuch über den Begriff der Zeit, das alle Generationen anspricht und mit seiner innovativen Gestaltung neue Wege beschreitet.
Man zoomt sich der Gegenwart entgegen
Das Buch «Es war einmal und wird noch lange sein» beginnt mit grossen Seiten über die Vergangenheit. Auf grossflächigen, farbigen Illustrationen liest man kurze Texte, wie zum Beispiel: «Vor Milliarden von Jahren formte sich das Land». Auf der nächsten Seite steht «Vor Millionen von Jahren lebten Dinosaurier auf der Erde.» Und so blättert man sich mit kleiner werdenden Seiten mit sich veränderndem Format der Gegenwart entgegen.
Man erkennt, dass die Gegenwart auf der Vergangenheit aufgebaut ist und zoomt sie sozusagen zu sich heran. Bis man in der Mitte des Buches ankommt und dort auf einem Bild mit einer Sternschnuppe die Aufforderung liest: «Jetzt, wünsch dir was!» Die Seiten werden dann wieder grösser mit Fragen über die Zukunft.
Ein Buch mit universellen Themen
Johanna Schaible erzählt keine klassische Geschichte. Sie sieht sich selbst auch nicht als klassische Geschichtenerzählerin: «Mich interessieren die universellen Themen, die uns Menschen verbinden.» Sie experimentiert so lange, bis sie eine Form gefunden hat, die es erlaubt, einen abstrakten Begriff erfahrbar zu machen – und damit die Möglichkeit schafft, sich darüber auszutauschen.
In ihrem nun preisgekrönten Buch ist ihr das vollumfänglich gelungen. Die 38-Jährige erzählt: «Ich bin ausgegangen von Begriffen wie Zeit und Luft, wusste aber nicht, wohin mich das führt. Weil mich auch formal ungewöhnliche Bücher interessieren, habe ich von Anfang an auch mit dem Format gespielt. Mit der Zeit kam dann die Idee des Zooms und der Zeitreise.»
Das Zusammenspiel von Bild, Text und der materiellen Gestaltung hat die fünfköpfige Jury überzeugt. Jurymitglied Stefan Schröter stellt fest: «Dass ein Buch ausgezeichnet wird, dessen Materialität so wichtig ist, entspricht dem Zeitgeist. Durch die materielle Gestaltung grenzt es sich ab von der Digitalität.» Das Siegerbuch biete alles, was gute Literatur ausmacht, sagt Stefan Schröter weiter: Es rege unsere Vorstellungsbildung an und fordere unsere Urteilsbildung heraus.
Für alle Generationen
Die abwechslungsreichen, kunstvollen Bilder mit zum Teil philosophischen Fragen machen dieses Bilderbuch für alle Generationen attraktiv. Johanna Schaible sagt: «Wenn ein Enkelkind diese Geschichte mit seiner Grossmutter anschaut, ist es eine andere, als wenn sie zwei Kinder gemeinsam anschauen oder zwei Erwachsene.»
Stimmig und schön deshalb auch die Widmung auf der ersten Seite: «Für die Erwachsenen von morgen und die Kinder von gestern.»