Schon am Freitag boten sich in Solothurn Bilder, die man anlässlich der Literaturtage schon lange nicht mehr gesehen hatte: Durch die Fischergasse zwischen Landhaus und Stadttheater schoben sich gleich zwei breite Warteschlangen aneinander vorbei.
Die Lesungen von Kim de l’Horizon und dem belarussischen Autor Alhierd Bacharevič waren Publikumsmagnete. Wer Einlass wollte, brauchte Geduld und musste dennoch darauf gefasst sein, an der Tür abgewiesen zu werden. Manche Säle waren bereits 20 Minuten vor Veranstaltungsbeginn voll.
Rund 15'000 Besucherinnen und Besucher verzeichnete die 45. Ausgabe der Solothurner Literaturtage laut Hochrechnung am Sonntagnachmittag, gut 1000 mehr als im Vorjahr. Nathalie Widmer, mit Rico Engesser dieses Jahr erstmals als Co-Geschäftsführung im Amt, zieht eine positive Bilanz: Sie sei begeistert von den vielen glücklichen Gesichtern.
Vereinzelte Zwischenfälle
«Ich war aber auch überwältigt von den langen Schlangen, die sich teilweise gebildet haben», sagt sie. Die Festivalleitung werde nun daraus für nächste Ausgaben ihre Schlüsse ziehen. Noch sei es zu früh, um konkrete Massnahmen zu nennen.
Im Vorfeld hatte zu reden gegeben, dass die Literaturtage dieses Jahr erstmals mit einer «Charta für ein diskriminierungsfreies und vielfältiges Literaturfestival» durchgeführt wurden. Laut Widmer hat es keine ernsten Vorfälle gegeben, bei denen diese zum Einsatz gekommen wäre.
Es habe jedoch vereinzelt Zwischenfälle mit frustriertem Publikum gegeben, das trotz Anstehen nicht mehr zum Saal vorgelassen werden konnte.
Zu überzeugen vermochten dieses Jahr vor allem die Veranstaltungen nah an der Literatur, also die unzähligen Lesungen, Gespräche und Begegnungen zwischen Literaturschaffenden und Übersetzenden. Die Podiumsdiskussionen darüber, was Literatur und Sprache in der Realität verändern können, enttäuschten dagegen; sie blieben zu vage und konnten die Erwartungen, die sie im Programmheft geweckt hatten, nicht einlösen.
Das «Kreuz» als Höhepunkt
Altbekannte Autoren wie Franz Hohler trafen auf junge Autorinnen wie Sarah Elena Müller – der Abend, den die beiden zu Ehren des 50. Geburtstags des Restaurants Kreuz zusammen bestritten, war ohne Zweifel einer der Höhepunkte des Festivals.
Zudem liessen sich auch Stimmen entdecken, die (noch) nicht besonders bekannt sind. Junge Autorinnen wie Saskia Winkelmann oder Mina Hava etwa, oder der exilierte belarussische Autor Alhierd Bacharevič. Er gab spannende Einblicke in eine noch unveröffentlichte deutsche Übersetzung seines Romans «Hunde Europas».
Die Vielfalt und die Vielsprachigkeit standen dieses Jahr besonders hoch im Kurs. Das Festival rückte Übersetzerinnen und Übersetzer aus den verschiedensten Sprachen ins Scheinwerferlicht. Die Übersetzungsveranstaltungen wurden dieses Jahr rege besucht, während sie in früheren Jahren eher Nebenschauplätze waren.
Die Literaturszene lebt
Die Literaturtage bewiesen dieses Jahr eine sichere Hand beim Setzen der Programmschwerpunkte. Sie zeigten einmal mehr, wie wichtig solche Grossveranstaltungen für den Austausch innerhalb der Schweizer Literaturszene sind. Das hohe Publikumsaufkommen beweist, dass auch in der Öffentlichkeit grosses Interesse daran besteht.