Geht's in der Literatur um das Eine, fehlen vielen Autorinnen und Autoren die Worte. Andere versteigen sich in Tier-Metaphern, schreiben zu blumig statt unverblümt.
In der englischsprachigen Literatur wird für die schlechteste literarische Sexszene Jahr für Jahr der «Bad Sex in Fiction Award» verliehen. So einen Preis brauche es auch für die deutschsprachige Literatur, fordert Literaturkritiker Rainer Moritz.
SRF: Warum ist es so schwierig, über Sex zu schreiben?
Rainer Moritz: Es gibt keine Tradition dafür. Autorinnen und Autoren sind seit jeher gewohnt, über Almwiesen oder Sonnenaufgänge am Meer zu schreiben.
Aber offen über Sex zu schreiben begann man in der deutschsprachigen Literatur erst in den 1970er-Jahren – nach den Studentenunruhen und Aufklärungsfilmen. Plötzlich wollten fast alle Autoren erotisch freizügiger werden.
Was müsste man für gute literarische Sexszenen denn anders machen?
Man muss sehr offen damit umgehen. Vielen Autoren gelingt das nicht. Oft haben sie Angst, dass eine Sexstelle pornografisch werden könnte. Deswegen meidet man die allzu explizite Ebene. Das führt dazu, dass es oft sehr gekünstelt, sehr ausgewählt und unfreiwillig komisch wirkt.
Am besten schreibt man über Sex, wenn man es direkt angeht.
Andere unterliegen der Versuchung, mit besonders ausgewählten Metaphern zu arbeiten, um dem Ganzen einen literarischen Touch zu geben. Etwa mit Vergleichen aus der Botanik oder aus der Tierwelt.
Sie wollen eine Bildwelt finden, die nicht überkandidelt, nicht zu erlesen und nicht zu exquisit ist. Aber in der Mehrzahl der Fälle geht es leider schief.
Ist es dann nicht besser, sozusagen nur bis zur Bettkante zu gehen und alles Weitere anzudeuten?
Max Frisch etwa hat ausprobiert, Sexszenen zu schreiben und ist zum Schluss gekommen: «Ich kann das nicht, ich mache das ganz einfach nicht.»
Wie übrigens auch sein österreichischer Kollege und Krimiautor Wolf Haas. Er sagte einmal, ihm sei es sogar schon peinlich, daran zu denken, wie Kollegen am Schreibtisch eine solche Sexszene entwerfen. Die Peinlichkeit dehnt sich also sogar übers eigene Schreiben hinaus aus.
Ein ‹Bad Sex Award› täte in der deutschsprachigen Literatur auch Not.
Sie fordern in Ihrem Buch «Matratzendesaster» auch einen «Bad Sex Award» für die deutschsprachige Literatur. Wieso?
Der Preis ist in den 1990er-Jahren auch als Warnung an die Autorinnen und Autoren entstanden. Man hatte einen pädagogischen Impuls: Wenn wir Jahr für Jahr schlechte Sexszenen auszeichnen, dann soll das Autoren eine Lehre sein, besonders vorsichtig oder dezent an die Sache heranzugehen.
Das täte der deutschsprachigen Literatur auch Not. Wenn man als Literaturkritiker arbeiten, dann fällt einem irgendwann auf, dass selbst sehr gute Autoren bei Sexstellen scheitern oder plötzlich blumig und gekünstelt werden.
Martin Walser wäre sicherlich ein Kandidat für die Liste.
Ich fände es daher ein wichtiges Unterfangen für den deutschsprachigen Raum, wenn sich eine Jury Jahr für Jahr dieser schweren Aufgabe annimmt und eine Shortlist der schlimmsten Sexstellen zusammenstellt. Das könnte manchen Autor davon abhalten, es zu versuchen.
Und wem würden Sie einen solchen Preis geben?
Man muss bei kruden Sexstellen in der Literatur ja unterscheiden: Sibylle Berg und Elfriede Jelinek etwa schreiben bewusst abschreckende Sexszenen – da wird in erster Linie das Patriarchat gegeisselt.
Etwas anderes ist aber, wenn sich ältere Männer daran versuchen, sich im hohen Alter noch einmal an ihre Jugend erinnern und eine ordentliche Sexszene hinwerfen.
Martin Walser hat in seinem Spätwerk leider Beispiele geliefert, die mich alles andere als überzeugt haben. Er wäre in den letzten Jahren sicherlich ein Kandidat gewesen.
Das Gespräch führte Michael Luisier.