Das Wichtigste in Kürze:
- J.D. Vance stammt aus dem «Rust Belt», wo die Verlierer der USA zuhause sind. Trotzdem hat er es bis zur Eliteuniversität Yale geschafft.
- In «Hillbilly-Elegie» schreibt er in einer Mischung aus Sozialreportage und Biografie über seine Herkunft. Das Buch wird zum Bestseller.
- Das aggressive Auftreten eines Donald Trump entspricht im Kern der Lebenswelt der beschriebenen «Hillbilly-Kultur».
Der 32-jährige J.D. Vance beschreibt eine Innensicht des weissen Prekariats in den USA. Hilbillys haben ihr Leben nicht im Griff und geben anderen die Schuld daran. Donald Trump erkennen sie als einen der ihren.
Eigentlich hat einer wie er keine Chance, es zu etwas zu bringen. Denn «die Schlinge liegt schon von Geburt an um seinen Hals». James David – genannt J.D. – ist ein «Hillbilly»: ein Hinterwäldler aus dem «Rust Belt», der grossen Industrieregion im Nordosten der USA, wo die Verlierer, die Abgehängten der Nation zuhause sind.
Wandel zu einem weltoffenen und erfolgreichen Menschen
Vance hat das soziale Spektrum der USA von ganz unten nach oben durchmessen. Er hat es bis zur Eliteuniversität Yale geschafft. Heute ist er Investor und lebt in San Francisco.
In seinem Buch berichtet er aus eigener, harter Lebenserfahrung über die US-amerikanische weisse Unterschicht und seinen eigenen Aufstieg zu einem weltoffenen und erfolgreichen Menschen.
Diese «Hillbilly-Elegie» wurde in den USA rasch zum Bestseller, nun mit etwas Verzögerung auch in Europa. Sie ist eine Melange aus Sozialreportage und Biografie. Wer sie liest, erkennt, dass ein optimistischer Mensch wie Vance in seiner Heimatstadt Middletown in Ohio nur ein Aussenseiter sein kann. Denn keine gesellschaftliche Gruppe in Amerika ist pessimistischer als die der weissen Arbeiter.
Disfunktional, aber geliebt
Es ist berührend und überraschend zu lesen, wie J.D. Vance seine komplett disfunktionale Familie mit grosser Liebe und Verbundenheit beschreibt.
Seine Mutter, zeitweise schwer drogenabhängig, wechselt die Männer wie die Unterwäsche und zwingt den überforderten Jungen zu ständigen Wohnortwechseln. Kontinuität erfährt er nur durch seine Beziehung zu den Grosseltern. Auch dort sind die Umgangsformen für Aussenstehende mehr als gewöhnungsbedürftig.
Hillbilly-Kultur
Nach einem Alkoholexzess seines Grossvaters muss der junge J.D. etwa erleben, wie seine Grossmutter, die er über alles liebt, ihren Mann mit Benzin übergiesst und in Brand steckt. Seine Schwester löscht das Feuer und rettet dem Mann das Leben.
Vance beschreibt all das als «Hillbilly-Kultur». Hillbillys versteht er als Jogging- oder Stretchhosenträger, die vor allem in den Berggebieten der Appalachen und den inzwischen maroden Industriestädten des mittleren Westens leben.
Sie lösen ihre Konflikte mit Gewalt. Sie können nicht mit Geld umgehen, kennen keinerlei Disziplin. Und sie schaffen es nicht, Verantwortung für ihre vielen Kinder zu übernehmen.
Einer von ihnen
Durch diesen kulturalistischen Blick schreibt J.D. Vance nicht nur über die Krise, die wirtschaftlichen Realitäten, die zum Niedergang der Industrie geführt haben. Als einer von ihnen traut er sich auch, den Hillbillys eine Mitschuld für die eigene Situation zu geben.
Denn sie hätten über sehr lange Zeit Verhaltensweisen, eine Weltsicht und eine Moral entwickelt, die sie vom Rest der USA unterscheidet und heute derart abhängt.
Obama als Ausserirdischer, Trump als Hillbilly
So wirkt ein Präsident wie Barack Obama auf die Hillbillys «wie ein Ausserirdischer», schreibt J.D. Vance. Das liegt erst einmal nicht an seiner Hautfarbe, sondern an seiner Kultur.
Sein Akzent ist ihnen fremd. Sein perfektes, geschliffenes Auftreten hat nichts mit dem zu, was sie von zuhause kennen. Seine Qualifikationen, sein Selbstvertrauen, verunsichern das weisse amerikanische Prekariat zutiefst.
«Er ist ein guter Vater, er geht im Anzug zur Arbeit. Seine Frau erklärt uns, dass wir unseren Kindern bestimmte Lebensmittel nicht geben sollten. Und wir hassen sie dafür – nicht, weil wir glauben, dass sie unrecht hat, sondern weil wir wissen, dass sie recht hat.»
Trumps Sprache und Sprüche
Das Auftreten eines Donald Trump, das wird dem Leser des etwas detailversessenen Buches klar, entspricht im Kern ihrer Lebenswelt.
Sein aggressives Gebaren verfängt, denn seine Sprache, seine Sprüche sind den Menschen im «Rust Belt» von zuhause vertraut. Der Trump-Stil erscheint als Hillbilly-Kultur.
Sendung: SRF 1, Literaturclub, 27.06.2017, 22:20 Uhr