«Der Verrat ist an sich nichts Schlechtes, es kommt darauf, was man verrät», sagt der knapp 30-jährige Berliner Artur Weigandt, Autor des autobiografischen Buchs «Die Verräter». Es ist das literarische Debüt des Journalisten mit familiären Wurzeln in der Sowjetunion.
Es gelte «Haltung» zu zeigen, heisst es im Buch, «gegen Putin, gegen die Sowjetunion», insbesondere in der «postsowjetischen Welt der Diaspora», welcher der Autor selbst angehört. Dort macht er sich bei Putin-Verstehern und Sowjet-Nostalgikern zum Verräter an der «russischen Welt».
Sowjetische Wurzeln
Artur Weigandt wird 1994, also kurz nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion, in der ehemaligen sowjetischen Teilrepublik Kasachstan geboren. Weigandts Vater ist der Nachkomme von deutschen Einwanderern, die Stalin während des Zweiten Weltkriegs zu Hunderttausenden ins entlegene Kasachstan deportierte. Wegen angeblicher Kollaboration mit den Nazis.
Weigandts Vorfahren leben als Verbannte in Uspenka, einem Nest in den Weiten der kasachischen Steppe. Zusammen mit anderen Vertriebenen – aus der Ukraine, Belarus, Georgien.
Nach Artur Weigandts Geburt emigriert seine Familie nach Deutschland. Dort geht der Junge zur Schule, studiert, wird Journalist. Fühlt sich als Deutscher. Zumindest zum Teil.
Zu Hause pflegt die Familie die Erinnerung an die östlichen Wurzeln: Man spricht Russisch, bewegt sich in der postsowjetischen Diaspora, besucht in den Ferien die zurückgebliebene Verwandtschaft in Uspenka. Artur Weigandt empfindet das Dorf als Teil seiner Heimat.
Erschütterung durch den Krieg
Dann kommt der 24. Februar 2022: «Mit dem Ukrainekrieg ist für mich eine Welt zusammengebrochen», sagt der Autor. Wie kann es sein, dass die russische Welt, der er sich zugehörig fühlt, diesen schrecklichen Krieg vom Zaun reisst?
«Die Verräter» ist das Protokoll der Suche nach einer Antwort. Mit präziser, oft literarischer Sprache erzählt Artur Weigandt, wie er zum Beispiel Kontakt zu einem in Russland lebenden Cousin aufnimmt. Dieser will ihm partout nicht glauben, dass man in Deutschland weder friert noch hungert. Putins Propaganda wirkt.
Erkundung der eigenen Biografie
Weigandt taucht in die Geschichte seiner Familie ein, schildert, wie die Vorfahren zu Opfern von Stalins Verbrechen wurden. Zur Verschleierung behauptete die damalige Propaganda, in Uspenka – und in den zahllosen anderen Verbannungsorten – würden unterschiedlichste Nationen zu glücklichen Menschen mit einheitlicher sowjetischer Identität heranwachsen.
Artur Weigandt erkennt, wie sehr er Uspenka stets verklärt hat. Dass das Dorf in Tat und Wahrheit ein Sinnbild für das Verbrechertum der Sowjetherrschaft darstellt: «Elend, Verrat an der eigenen Identität und erzwungene Loyalität zum System.»
Putins Grausamkeit gegen die Ukraine ist gemäss Weigandt die Fortsetzung von Stalins Terror gegen nationale Minderheiten. Unter den Opfern waren die eigenen Ahnen. Uspenka, so ein Fazit des Buchs, sei die «Sehnsucht und eine Erinnerung an eine Heimat», die es im Grunde nie gegeben habe.
«Die Verräter» ist ein beeindruckender Text. Weil er so furchtlos ist. Und so klar. Und weil er sich zuletzt als Appell für ein anderes Russland liest, das ohne Propagandalügen auskommt. Sie zu entlarven, darum geht es diesem Buch.
Es ist ein Verrat, der heilen will.
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