Ob Filme mit Til Schweiger, Tatort oder Theater – Samuel Finzi gehört zur obersten Riege der deutschen Schauspieler. Was die wenigsten wissen: Finzi wurde 1966 in Bulgarien geboren und wuchs dort auf, bis er mit 23 Jahren nach Berlin kam, ohne ein Wort Deutsch zu sprechen.
Diesen ersten zwei Jahrzehnten seines Lebens widmet der Schauspieler jetzt seinen «autobiographischen Roman» mit dem vielsagenden Titel «Samuels Buch».
Die Kunst im Sozialismus aufzuwachsen
Finzis Kindheit und Jugend in Bulgarien bewegt sich zwischen den Systemen: zwischen dem Sozialismus der Heimat und dem Kapitalismus der Welt drumherum. Zwischen der Bühne und dem Alltag, zwischen Wahrheit und Wahrhaftigkeit, zwischen scheinbarer Anpassung und Freiheit.
Irgendwann habe Finzi den Mut gefasst, eine Situation in einem Land zu beschreiben, das nur wenigen bekannt ist. «Ich glaube, nur wenige kennen die Geschichte des Landes, wie sich der Sozialismus dort entwickelt hat und wie die Menschen damit zurechtgekommen sind», erzählt er im Gespräch.
Dieses Land auf dem Balkan bringt der Schauspieler den Lesenden auf sehr persönliche Art näher: Wie er in einem Künstler-Milieu mit jüdischen Wurzeln aufwächst, der Vater ein berühmter Schauspieler, die Mutter eine renommierte Pianistin, die Verwandtschaft, die in den Sommerferien oft zu Besuch kommt, weit über den Globus verstreut.
«Dies ist nicht mein Land»
Der junge Samuel wächst in diesem sehr kultivierten Elternhaus auf, geht mit der Enkelin des Staatschefs Todor Schiwkow in die Schule – bis die Mutter ihn in eine andere Schule schickt.
Schon früh weiss er: dies ist nicht mein Land. In seinem Buch schreibt er: «Egal wie, aber ich würde das Land, in das ich hineingeboren worden war, verlassen. Sobald ich auf eigenen Füssen stehen konnte, würde ich woanders leben. Irgendwo, wo es nicht so grau, hässlich und monoton war.»
Situation gekonnt inszeniert
Finzis Geschichten aus der Kindheit sind jedoch alles andere als grau oder monoton. Sie sind lebendig, amüsant, tiefgründig, schillernd und bewegend. Man spürt Finzis feines Gespür für Sprache, seinen Humor, seine Ernsthaftigkeit und Hartnäckigkeit bei allem, was er tut.
Verdichtet und bildhaft beschreibt er Szenen aus seinem Leben – und wenn sie nicht wahr sein sollten, sind sie perfekt erfunden. Immer schwingt ein doppelter Boden mit, wenn er die Lebensumstände in seiner Heimat beschreibt.
Auf Schneidersitz folgt Bruchlandung
In einem Absatz beschreibt Finzi, wie er seinen Freunden in Sofia ein Stück von der Leichtigkeit des Westens weitergeben wollte, den er gerade besucht hatte. Er kommt als erster zum vereinbarten Treffpunkt an der Adlerbrücke und setzt sich mit seinen neuen Adidas-Turnschuhen im Schneidersitz auf das Trottoir.
Ein Podcast über Bücher und die Welten, die sie uns eröffnen. Alle zwei Wochen tauchen wir im Duo in eine Neuerscheinung ein, spüren Themen, Figuren und Sprache nach und folgen den Gedanken, welche die Lektüre auslöst. Dazu sprechen wir mit der Autorin oder dem Autor und holen zusätzliche Stimmen zu den Fragen ein, die uns beim Lesen umgetrieben haben. Lesen heisst entdecken. Mit den Hosts Franziska Hirsbrunner/Katja Schönherr, Jennifer Khakshouri/Michael Luisier und Felix Münger/Simon Leuthold. Mehr Infos: www.srf.ch/literatur Kontakt: literatur@srf.ch
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«Meine Freunde trudelten langsam ein und wollten wissen, was ich da unten mache. ‹Das machen wir so im Westen. Da kann man sich hinsetzen, wo man will. Kommt, setzt euch zu mir!› Plötzlich tauchten zwei Milizionäre auf. ‹Steht sofort auf! Gibt es keine Bank für euch? Wir haben welche bei uns auf der Wache! Wollt ihr sie ausprobieren?› Das war's. Bruchlandung.»
«Samuels Buch» erzählt vom Gehen und Bleiben, von Familie, Freundschaft und Freiheit. Der Roman des Schauspielers, der zum ersten Mal als Schriftsteller in Erscheinung tritt, hallt lange nach.