Der österreichische Comic-Zeichner Nicolas Mahler hat den Kafka drauf. Sein Band «Komplett Kafka» illustriert Leben und Themen des Jahrhundertautors. Im Interview erzählt er über Klischees, Kafkas Humor und wie man sich mit Kafka das eigene Leben schönreden kann.
SRF: Franz Kafka wird bis heute verehrt. Dennoch lautet das Motto des Kafka-Jahrs «100 Jahre ohne Franz». Fast wie ein Familienmitglied, das man vermisst. Sehen Sie das auch so?
Nicolas Mahler: Das ist für mich überraschend gewählt, denn ich finde ihn eher mysteriös. Das Familienmitglied vielleicht, das man nie persönlich kennengelernt hat, sondern über das man immer nur Erzählungen hört. Ich kann mir zum Beispiel die Stimme von Kafka überhaupt nicht vorstellen.
Es gibt aber die Vorstellung des schmächtigen, in sich gekehrten, auch schwermütigen Autors Franz Kafka. Jetzt haben Sie ihn gezeichnet, für den Band «Komplett Kafka». Woran haben Sie sich orientiert?
Als Comic-Zeichner ist klar, dass man das Klischee bearbeitet. Comics arbeiten oft mit einer Vereinfachung. Wenn es schon einmal ein starkes Klischee gibt, ist das eine gute Vorlage: Kafka als dunkler Grübler und Geistesmensch.
Die Bilder sind keine genaue Studie von Kafka, sondern ein Zerrbild.
Dann habe ich mich für meine Zeichnungen stark an seinen eigenen orientiert. Ich habe mich einerseits an den Zeichnungen abgearbeitet und dann an dem Bild, das man durch die Fotos von ihm vermittelt bekommt.
Wie wollten Sie ihn zeigen, wie sollte er wirken?
In erster Linie wollte ich ihn zu einer richtigen Comicfigur transferieren. Die Bilder sind keine genaue Studie von Kafka, sondern eigentlich ein Zerrbild. Dafür eignet er sich sehr gut, weil er optisch durch diesen Mittelscheitel, die Ohren, sehr schnell wiedererkennbar ist, was für eine Comicfigur ideal ist.
Ich wollte dieses Klischee zeigen des ernsten, typischen Kafka, sowie seine Widersprüchlichkeit, die auch der Grund für die Faszination ist. Wäre Kafka eine eindimensionale Figur, hätte sich seine Bedeutung nie so lange halten können.
Worin liegt diese Widersprüchlichkeit denn genau?
Einerseits leidet er an der Umwelt, andererseits leidet er an sich, und er bringt diese zwei Dinge nicht zusammen. Alles, was er schreibt, ist so belanglos. Es geht immer in zwei Richtungen, er ist sehr streng mit sich. Ich glaube, damit kann man sich identifizieren, wenn man auch so ein Typ ist.
Inwiefern haben Ihnen seine Motive geholfen, wie die Verwandlung von Gregor Samsa in einen Käfer?
Stoffe wie «Die Verwandlung» haben ja auch diese Anmutung oder das Klischee. Das ist so dunkel und so düster und so deprimierend. Wenn man es sich genauer anschaut, sind diese Figuren fast von Haus aus von ihm schon als Comicfiguren zurechtgelegt: Ein Käfer, der in der Früh aufwacht und sich überlegt, wie er noch ins Büro kommt. Dann der Vater mit dem Stock, der ihn ausschimpft und die Mutter mit den hochstehenden Haaren. Und dann auch die drei Zimmerherren mit den Bärten, die alle gleich ausschauen.
Es gibt Leute, die Kafka lustig finden. Ich zum Beispiel gar nicht.
Das sind alles Figuren, die eigentlich lustig sind. Nur ist der Text nicht lustig geschrieben, sondern eher verstörend.
In Ihrem Buch steckt viel feiner Humor. Wie passt Humor zu Kafka?
Es gibt Leute, die finden, sie haben Kafka immer schon sehr lustig gefunden. Ich zum Beispiel gar nicht. Wenn man Humor so definiert, dass man den Widrigkeiten des Lebens mit einer gewissen Leichtigkeit entgegenschauen kann, dann hat er definitiv keinen Humor gehabt, glaube ich.
Aber wenn man den Humor so definiert, dass man sagt, man kann bestimmte Dinge aus so verschiedenen Perspektiven zugleich betrachten, dass man das Absurde daran wahrnimmt: Dann hat er schon Humor gehabt.
Weshalb ist Kafka bis heute modern geblieben?
Das habe ich mich auch gefragt. Ich bin zum Schluss gekommen, dass er ja nicht jetzt modern ist, eigentlich nie modern war, aber auch nicht veraltet. Es gibt ja kein Jahrzehnt, seit der Wiederentdeckung, wo Kafka nicht gepasst hätte, weil es doch allgemeine Themen sind, die er abhandelt.
Was interessiert Sie persönlich heute noch an Kafka?
Er war ein beinharter Beobachter, obwohl er nicht bösartig war. Er hat sehr genau beobachtet und hat sich zugleich selbst noch genauer beobachtet als die Aussenwelt und das auch zu Papier gebracht. Ich glaube, das gibt es gar nicht so häufig. Diese Selbstbeobachtung, die dann aber nicht eine Nabelschau ist, sondern eine ehrliche Abrechnung auch mit sich selbst.
Vielleicht kann man sich dann das eigene Leben schönreden, wenn man sieht: Da gibt es jemanden, der macht es sich noch schwerer als ich und kann es dabei noch so gut formulieren.
Das Gespräch führte Richard Herold.