Als 1942 der Bambi-Film in die Kinos kam, setzte Disney auf den Jöö-Effekt – mit Erfolg. Man schliesst Bambi mit seinen grossen Augen, der Stupsnase, den staksige Beinen und den weissen Flecken im Fell sofort ins Herz.
Dabei ist Bambi eigentlich kein Weisswedelhirsch, sondern ein Reh. Er wurde auch nicht von Disney erfunden. Vielmehr stammt das berühmte Rehkitz aus der Feder des ungarisch-österreichischen Schriftstellers Felix Salten.
Das Reh als reine Unschuld
«Rehe sind der Inbegriff von Anmut, Zartheit und Unschuld und eignen sich deswegen zur Heldenfigur», erklärt der Historiker Rudolf Neumaier. Er hat in seinem Buch «Das Reh» die Faszination der scheuen Waldbewohner ergründet.
Der kleine Bambi muss bei seiner Heldenreise einiges über sich ergehen lassen: Seine Mutter wird bei einer brutalen Treibjagd erschossen. In einem familienfreundlichen Disney-Film hatte es so etwas zuvor noch nie gegeben. Entsprechend gross war der Aufschrei des Kinopublikums und der Groll gegen die Jägerschaft.
Der kritische Waidmann
Was viele nicht wussten: der Autor Felix Salten, der 1923 «Bambi. Eine Lebensgeschichte aus dem Walde» schrieb, war selbst Jäger. Allerdings habe Salten nach den Prinzipien der Natur und der natürlichen Auslese gejagt, wie Rudolf Neumaier erklärt. Das heisst, dass nur alte und kranke Tiere gezielt geschossen werden.
Das, was Bambi und seine Mutter dagegen erleben, ist eine Treibjagd. Dabei werden die Tiere durch den Wald gehetzt. Die Gefahr, dass sie sich dabei verletzen oder lange leiden müssen, ist im Vergleich zur normalen Jagd hoch. Saltens Buch richtet sich also nicht gegen die Jagd als solche, sondern gegen diese spezielle Form davon.
Vermenschlichen statt «vertieren»
Trotz des schockierenden Todes der Mutter ist die Geschichte rund um Bambi und dessen Freunde rührend. Zusammen mit dem vorlauten Hasen Klopfer und dem schüchternen Stinktier Blume erkundet der junge Rehbock den Wald.
Felix Salten sei ein guter Naturbeobachter gewesen, sagt Rudolf Neumaier. Das zeigt sich etwa daran, dass viele Begebenheiten und Beschreibungen im Bambi-Roman naturgetreu wiedergegeben sind.
Die Waldtiere selbst seien allerdings stark vermenschlicht. Er stosse sich nicht daran, so Reh-Experte Neumaier. Ganz im Gegenteil: So würden Anknüpfungspunkte für den Menschen geschaffen.
Das sah auch der Schriftsteller selbst so: «Suche nur immer das Tier zu vermenschlichen, so hinderst du den Menschen am Vertieren», schrieb Felix Salten.
Die Popikone aus dem Forst
Saltens Vermenschlichung in Kombination mit den grossen Disney-Augen machen Bambi zu einem Erfolgsrezept und zu einem Symbol der Unschuld, an dem sich auch die Popkultur gerne abarbeitet.
1969 etwas schuf der Animator Marc Newland den kurzen Animationsfilm «Bambi meets Godzilla». Darin grast Bambi auf einer Wiese. Plötzlich tritt das japanische Monster Godzilla auf das Reh und zerquetscht es. Newlands Low-Budget-Film erreichte im Laufe der Jahre Kultstatus und zirkuliert heute in verschiedenen Variationen im Internet.
1979 veröffentlichten «The Sex Pistols» den Song «Who Killed Bambi?» Den Songtext hatte Vivienne Westwood beigesteuert, die auch gleich das passende Bambi-Shirt dazu entwarf.
Was einst als Metapher für eine verletzliche und schützenswerte Natur gedacht war, ist heute zu einer Marke geworden, mit der sich vor allem viel Geld verdienen lässt.