Ist Peter Handke ein schlechter Gewinner? Tritt er jetzt, wo er den Literaturnobelpreis erhalten hat und damit in den Kreis der Unberührbaren aufgestiegen ist, gegen seine Kritiker nach?
In «Das zweite Schwert. Eine Maigeschichte» lässt er seinen Ich-Erzähler zunächst als finsteren Rächer auftreten. Allerdings hat Handke sein Werk schon im Frühjahr 2019 geschrieben, lange vor dem Bescheid der Nobelpreis-Jury.
Wir müssen uns erst durch das halbe Buch kämpfen, um zu erfahren, weshalb und an wem sich Handkes Erzähler rächen will. Die Gewaltfantasien richten sich gegen «die» Zeitungen. Im Basston der Verallgemeinerung stellt der Erzähler fest: Die Zeitungen würden besserwisserisch alles beurteilen, richten – und zwar «enthoben» von den wahren Sachverhalten
Rache an den Medien?
Ein Rachefeldzug gegen die Medien, von denen sich Handke seit seinem fanatischen Einstehen für Serbien während der Balkankriege der 1990er-Jahre ungerecht behandelt fühlt?
Der eigentliche Auslöser der Rachegelüste reicht noch viel weiter zurück: Handkes Erzähler will vor allem einer Journalistin an den Kragen, die seiner Mutter in einem Artikel unterschoben hat, einst den Nazis zugejubelt zu haben.
Worum aber geht es Handke wirklich, wenn er seinen Erzähler auf Hass und Gewalt konditioniert? Er erprobt, ob man sich mit Literatur rächen kann. So zieht der Erzähler los, nicht in der Rüstung, sondern im Dior-Anzug.
Schon erinnert das Setting wieder an frühere Handke-Werke: Der Ich-Erzähler streunt durch die Vororte von Paris, wo Handke seit langem lebt. Er streift in Gedanken dieses und jenes, sinnt längst nicht nur auf Rache. Er reflektiert auch Begriffe wie Einbildung oder Rechtsmissbrauch.
Ein später Romantiker
Es ist ein Erzählprinzip mit starken Anleihen bei den wanderlustigen Romantikern. Wie ein später Eichendorff saugt Handke die Natur auf, oder was von ihr übrig geblieben ist, und übt sich im Tagträumen und im Alltag eines Taugenichts.
So entsteht eine merkwürdige, mal reizvolle, mal anstrengende Spannung: Handke gefällt sich in der Rolle des Gesetzlosen, auch des aus der Zeit Gefallenen. Im Kontrast dazu steht aber, dass er sehr wohl die heutige Agglomerationsrealität abzubilden vermag. Da besticht er immer wieder als unvergleichlicher Beobachter. Einmal nimmt er in einem Ersatzbus lauter Gehetzte wahr und fragt sich, wo denn die Hetzer sind.
Insofern eignet sich «Das zweite Schwert» als perfektes Einstiegsbuch in das Spätwerk Handkes. Man bekommt die ganze Bandbreite seines Erzählstils mit: das Spielerische, Ausschweifende, Romantische ebenso wie das Bedrohliche, Berserkerhafte, ganz und gar Ungefällige. Den ganzen Handke eben.
Sendung: Radio SRF 2 Kultur, Kultur aktuell, 18.2.2020, 06:50 Uhr