Masha liebt Iggy. Und Iggy liebt Masha wahrscheinlich auch. Aber statt ihr das zu sagen, zerbricht er sich den Kopf über Beziehungskonzepte und Consent. Bis Masha der Kragen platzt: «Consent, Iggy? Alter, Consent? Wir mögen uns, wir sind gut zueinander, das ist doch der verschissene Consent.»
Bis Masha zu Iggy so ehrlich sein kann, dauert es über 200 Seiten. Davor erleben die beiden eine Liebesgeschichte à la Bonnie und Clyde, in der über alles geredet wird – ausser über den Beziehungsstatus.
Kleinkriminelle Liebe
Masha und Iggy, beide Ende 20, begegnen sich zufällig im steckengebliebenen ICE. Iggy ist der erste Typ seit langem, den Masha nicht auf einer Dating-App kennenlernt.
Näher kommen sie sich aber erst auf ihren aberwitzigen Streifzügen. Weil Masha und Iggy ständig pleite sind, drehen sie einer rechtsextremen Villenbesitzerin schäbige Möbel als Antiquitäten mit NS-Vergangenheit an, sie beklauen die Kirche mit einem gefakten QR-Code und reisen mit einem gestohlenen Käse von Wien nach Italien.
Die Ganovenstückchen könnten sich zu einer wunderbaren Liebesgeschichte entwickeln – wären da nicht Iggys Komplexe. Er hat solche Angst davor, unabsichtlich in patriarchale Männerrollen zu fallen, dass er lieber unnahbar bleibt, als sich auf so etwas wie Beziehung einzulassen.
«Liebe ist doch keine Politik»
«Beziehung»: Ein Wort, das für Iggy Anpassung und Verbiegung bedeutet. Weil Masha und Iggy jedes erdenkliche Beziehungskonzept kennen, fürchten sie sich davor, dass ein Satz wie «Ich liebe dich» zum politischen Statement wird.
Was für ein Liebespaar wollen wir sein? Wie kann man Feminismus in der Beziehung leben? Welches Sexleben will ich führen? Autor Russo stellt fest, dass sich diese Fragen viele 20- bis 30-Jährigen stellen: «Dass meine Generation Beziehung neu definieren will, finde ich toll. Aber die Liebe, also die Zuneigung zu einem Menschen, die muss unpolitisch bleiben.»
Genau dieser Spagat gelingt Masha und Iggy nicht. Das liegt auch an Iggys mangelnder Souveränität beim Thema Sex. Er redet offen über seinen Leistungsdruck und führt parallel eine Liste mit Frauen, mit denen er geschlafen hat. Zudem liest er feministische Texte und verurteilt sich, weil er Hardcore-Pornos heiss findet.
Masha bringt Iggys Widersprüche auf den Punkt: «Gesteh dir ein, dass du Gangbangs guckst und Gruppenvergewaltigungen und gleichzeitig Liv Strömquist liest! Weil das ist die verdammte Realität.»
Männliche Komplexe aus weiblicher Sicht
«Prinzip Ungefähr» wirft einen Blick auf die Unsicherheit eines jungen Mannes, der es «richtig» machen will und an den eigenen Ansprüchen scheitert. Erzählt wird das aber aus Mashas Perspektive.
Ihre Gedanken, ihr Begehren und ihre Wut über Iggys Verhalten stellt der Autor in den Mittelpunkt. «Es hat mich gereizt, den männlichen Feminismus aus der Sicht einer Frau anzuschauen und zu zeigen, wie quatschig Männer in dieser Position sein können.»
Natürlich ist auch Masha nicht frei von Zweifeln. Sie redet zwar tabulos über Sex und will gerade als Frau unabhängig sein, aber die Gefühle zu Iggy machen sie verletzlich.
«Prinzip Ungefähr» macht sich nie lustig über Mashas und Iggys Unsicherheiten. Im Gegenteil: Der Roman erzählt humor- und liebevoll von Widersprüchen, die sein dürfen. Man hofft bis zum Schluss, dass auch Iggy und Masha das kapieren – und ihre Liebe nicht ungefähr bleibt.