«Einmal an der Spitze, werden wir die Spitze so weit ausdünnen, dass für Späne kein Platz mehr sein wird, die Späne werden fallen und unten eingesaugt und entsorgt und nicht mehr in unserer Erinnerung wohnen. Denn wir werden auch unsere Erinnerungen aushobeln.»
Mit diesen Worten schliesst der populistische Aufsteiger Gernot Pfandl in Julia Josts Roman seine Rede am Bundesparteitag, zu dem er als «erfolgreichster Gemeindebürgermeister aller Zeiten» eingeladen worden war.
Jörg Haider als Modell
Pfandls Formulierungen lassen einen leer schlucken, insbesondere die Passage zum Aushobeln der Erinnerungen. So etwas erscheint in Österreich, das seine nationalsozialistische Vergangenheit im Zweiten Weltkrieg nur unzureichend aufgearbeitet hat, geradezu ungeheuerlich.
Brisantes Detail dabei: Pfandls Vater war selbst überzeugter Nazi gewesen und hat hunderte Menschen auf dem Gewissen. Diese Vergangenheit verfolgt den Polit-Aufsteiger schon seit Langem. Und doch bläst er unversehens ins gleiche Horn, kaum erhält er eine Bühne dafür.
Pfandls Partei bleibt im Roman namenlos, aber um Pfandl nicht als Jörg Haider und seine Partei nicht als die rechtspopulistische FPÖ zu erkennen, müsste man sich arg verbiegen.
Der Populismus wächst
Julia Josts Buch mit dem sperrigen Titel «Wo der spitzeste Zahn der Karawanken in den Himmel hinauf fletscht» spielt im österreichischen Bundesland Kärnten zwischen Anfang der 1980er- und Mitte der 1990er-Jahre. Genau zu der Zeit und in der Region, wo Haider und die FPÖ gross wurden.
An Gernot Pfandls Aufstieg und am Umfeld, in dem er passiert, kann man in Julia Josts Roman beispielhaft ablesen, wie sich der Populismus im ganz Kleinen festsetzt und von da aus ins Monströse zu wachsen droht.
Zum Beispiel in der Familie der 11-jährigen Ich-Erzählerin: Die Mutter arbeitet Teilzeit als Lehrerin und wirtet abends in der Gaststube, die zum Hof gehört. Der Vater hat als Automechaniker angefangen und ist dann in den Handel mit Lastwagen eingestiegen. Er konnte sich einen Millionendeal im Ausland sichern – vermittelt durch Gernot Pfandl, der sich seine Beziehungen unter der Hand bezahlen liess.
Ein Podcast über Bücher und die Welten, die sie uns eröffnen. Alle zwei Wochen tauchen wir im Duo in eine Neuerscheinung ein, spüren Themen, Figuren und Sprache nach und folgen den Gedanken, welche die Lektüre auslöst. Dazu sprechen wir mit der Autorin oder dem Autor und holen zusätzliche Stimmen zu den Fragen ein, die uns beim Lesen umgetrieben haben. Lesen heisst entdecken. Mit den Hosts Franziska Hirsbrunner/Katja Schönherr, Jennifer Khakshouri/Michael Luisier und Felix Münger/Simon Leuthold. Mehr Infos: www.srf.ch/literatur Kontakt: literatur@srf.ch
Um diesen Podcast zu abonnieren, benötigen Sie eine Podcast-kompatible Software oder App. Wenn Ihre App in der obigen Liste nicht aufgeführt ist, können Sie einfach die Feed-URL in Ihre Podcast-App oder Software kopieren.
Für die Eltern erfüllt sich der Traum des bürgerlichen Lebens. Endlich kommt man zu Geld, kann den provinziellen Hof hinter sich lassen. Dass sie alle dem Populismus zum Opfer fallen, merken sie in ihrer Verblendung von Einfluss und schnellem Reichtum nicht.
Durch die Augen einer 11-Jährigen
Es ist eine besondere Mischung aus Geschichtsvergessenheit und Gier nach Geld und Macht, die die Menschen in Julia Josts Roman umtreibt. Ein Roman, der einen beklemmenden Eindruck hinterlässt, nicht zuletzt aufgrund der Art, wie er erzählt ist. Denn die Erzählerin ist mit ihren 11 Jahren noch zu jung, um zu verstehen, was um sie herum geschieht. Das Kind wertet nicht, sondern nimmt alles relativ unvoreingenommen auf.
Das Monströse an seinen Erzählungen – ein gerahmter Ariernachweis, der (in den 1990er-Jahren!) öffentlich in der Jägerstube hängt, oder der Vater, der über die NS-Abzeichen des Grossvaters einen seltsamen Stolz empfindet – nimmt deswegen erst im Kopf der Leserinnen und Leser Gestalt an. Ein Buch, das eine neue Perspektive auch auf den Populismus bietet, der aktuell in der Welt um sich greift.