Thomas Ott ist einer der wenigen Deutschschweizer Comiczeichner, der auch international grosse Erfolge feiert. Für seine düsteren, wortlosen Geschichten aus gesellschaftlichen Rand- und Schattenzonen wird er weltweit geradezu kultisch verehrt.
Nun legt der 55-Jährige nach zwölf Jahren mit «Der Wald» endlich eine neue eigenständige Buchpublikation vor. Allerdings weicht er darin deutlich von seinem bisherigen Werk ab.
Eher Bilderbuch als Comic
«Der Wald» ist nämlich eher Bilderbuch als Comic. In 25 ganzseitigen Bildern schildert der Zeichner eine Ballade um Tod, Trauer, Abschied und die Rückkehr ins Leben.
Inspiriert durch eine persönliche Erfahrung schlägt er dabei eine ungewohnte Saite an. Bisher war er nämlich vor allem für seine schwarze Atmosphäre und sein virtuoses Spiel mit Klischees der populären Kulturen bekannt.
«Der Wald» dagegen ist zutiefst emotional. Das Werk nimmt die Leserschaft auf die innere Reise eines kleinen Jungen mit, der seinen geliebten Grossvater verloren hat. Weil sich das Kind an der Trauerfeier langweilt, flüchtet es in den nahen Wald.
Auf einem schmalen Pfad streift der Junge immer tiefer in den dichten, dunklen Forst. Dabei überwindet er Hindernisse wie Baumstrünke und Gräben und begegnet mysteriösen, bisweilen verstörenden oder bedrohlichen Gestalten, Menschen und Dingen.
Rätselhafte Symbolsprache
Die Reise des Kindes ist vor allem eine symbolische. Allerdings entzieht sich Otts Symbolsprache einfachen Erklärungen. Egal, ob ein undefinierbares Pelzwesen den Jungen erschreckt, oder ob er über Totenschädel stolpert.
Diese Vieldeutigkeit vermag zu überzeugen. Dank ihr schafft es Ott, die Intimität des Trauerprozesses sowie der Beziehung zwischen Opa und Enkel zu bewahren. Gerade weil die Geschichte sehr persönlich bleibt, zeugt sie von einer universalen Erfahrung.
Die Magie der Geschichte liegt dabei in ihren Bildern begründet. Deren Ruhe sowie das grosszügige Format ziehen tief in den finsteren Forst. Dieser wirkt so lebendig, dass man das Rauschen der Blätter zu hören glaubt. Zugleich spiegelt er die Innenwelt des trauernden Jungen.
Märchenhafte Zeichentechnik
Otts Schabkartontechnik passt ideal zur Atmosphäre der Geschichte: Er zeichnet seine Bilder nicht mit einer Feder auf weisses Papier, sondern kratzt sie mit dem Japanmesser aus einem speziellen, schwarzen Karton. Ästhetisch erinnern die Bilder an Radierungen, und damit auch an alte Märchenillustrationen.
Vordergründig mag «Der Wald» eine schlichte Geschichte sein. Der virtuose Bilderreigen lädt jedoch nicht nur zum Eintauchen und Verweilen in dieser Zwischenwelt ein. Er verleiht der Handlung auch eine ungeahnte emotionale Tiefe.