Erst die Haare abrasiert, dann den iranischen Frauen die Unterstützung zugesagt und zuletzt noch ein Lied gesungen: Es war eine denkwürdige Dankesrede, die Kim de l’ Horizon nach dem Gewinn des Deutschen Buchpreises hielt. Ein Gespräch über jenen Schmerz, der zu de l'Horizons Schreiben gehört und auch in der Stunde des Erfolgs nicht vergessen geht.
SRF: Was bedeutet Ihnen dieser Preis, den Sie für Ihren autobiographischen Roman «Blutbuch» erhalten haben?
Kim de l’Horizon: Er ermutigt mich, dass es richtig war, diesen schwierigen Weg zu beschreiten. Er zeigt mir, dass dieser Weg relevant ist – und zwar nicht nur für mich, sondern für viele Menschen.
Dieser Preis ermutigt mich auch, weiterhin radikal zu schreiben – radikal in meiner Ästhetik und Poetik. Er bestärkt mich darin, mich nicht nach vorgegebenen Formen richten zu müssen.
Der Preis scheint mir aber auch ein politisches Zeichen in dieser Zeit, in der vor allem nicht-männliche Körper diskriminiert, aber die Rechte von uns allen eingeschränkt werden.
Was bedeutet der Preis für Sie als queere Person?
Er bedeutet einen Umbruch. Mein «Blutbuch» war für mich das Erarbeiten eines Textkörpers für diese Hauptfigur, die vorher keinen Körper hatte. Erst durch diesen Text konnte er eine gewisse Materialität erhalten.
Ich habe nach etwas gesucht, das es so noch nie gab.
Der Jury schien das offensichtlich wichtig zu sein. Das berührt mich und macht mir Mut, dass das eine Gesellschaft und Zeit ist, in der ich leben möchte und dafür kämpfen will, was ich als das Richtige empfinde.
Sie haben sehr lange an diesem Text gearbeitet. Warum war es so schwierig, den richtigen ästhetischen Ausdruck zu finden?
Ich habe nach etwas gesucht, das es so nicht gab. Mir stand einfach wahnsinnig viel im Weg – von meiner Familie, aber auch der Kultur her. Ich musste mich durch das Schreiben erst mal heilen.
Mein Körper wuchs in Mänteln des Schweigens auf.
Und doch, das wurde jetzt ja auch bestätigt, ist meine Poetik keine Selbsttherapie, sondern die einer kollektiven Therapie – und genau das allen anbietet, die das Buch lesen wollen.
Welche Bedeutung hat das Schweigen in Ihrem Roman – und für Ihre eigene Geschichte überhaupt?
Sie hat einen riesigen Stellenwert. Mein Körper wuchs in Mänteln des Schweigens auf. Wir haben einfach grosse Mühe mit Themen, die wir von den älteren Generationen erben.
Da wird so vieles in Schweigen gehüllt, weil man keinen Umgang und keine Ressourcen hat, an den Schmerzen zu arbeiten, Schmerzen zuzulassen. Das Schweigen ist wie eine Rüstung, die unsere Schmerzen gefangen hält.
Motiviert Sie dieser grosse Moment zum Weitermachen?
Unbedingt. Ich fühle mich sehr bestärkt.
Das Gespräch führte Michael Luisier.