Der 8-jährige Tommy überlebt nur durch Zufall. Als sein Vater mit der Schrotflinte zuerst die Mutter und dann die beiden Geschwister erschiesst, flüchtet er sich in einen Schrank.
Dort findet ihn die Polizei Stunden später – völlig verängstigt. Mittlerweile hat sich der Täter selbst gerichtet. Seine Jugend verbringt der Junge bei Onkel und Tante. Als er die kleine Hebriden-Insel vor der Küste Schottland verlässt, verliert sich seine Spur.
Jetzt – 23 Jahre nach dem Massaker – kehrt Tommy als ernster, wortkarger Mann zurück. Die Nachricht seines Besuchs verbreitet sich wie ein Lauffeuer über die ganze Insel und löst Irritation und Angst aus: Wo ist Tommy gewesen? Warum taucht er plötzlich auf? Was hat er vor?
Schuldgefühle eines Überlebenden
Beim Lesen von Rebecca Waits Roman «Das Vermächtnis unsrer Väter» treibt einen die Frage nach dem Grund für die Rückkehr vorwärts. Doch die Antwort bleibt vorerst diffus.
Tommy ist offensichtlich immer noch schwer traumatisiert: Er kommt nicht los von jenem Ereignis, das ihn zum Vollwaisen gemacht hat. Schuld belastet seine Seele – die Schuld, als einziger überlebt und seine Geschwister nicht gerettet zu haben.
Ist Gewalt vererbbar?
Auf der Insel wohnt er wieder bei seinem Onkel Malcolm. Dieser ist mittlerweile Witwer. Anfänglich haben die beiden Mühe, aufeinander zuzugehen – aber allmählich überwinden sie Scheu und Schweigen.
Tommy wagt es, seine Angst vor einer erblichen Vorbelastung anzusprechen: Könnte es sein, dass auch er, der Sohn eines Mörders, dereinst gewalttätig wird? Malcolm beruhigt seinen Neffen: Immerhin sei er, der Bruder des Vaters, auch kein Schläger geworden.
Zugang zu den eigenen Gefühlen
Diese zögerliche Annäherung der beiden introvertierten Männer macht die grosse Stärke dieses Romans aus: Langsam finden sie Worte für ihre Gefühle und verschanzen sich nicht länger hinter ihrer männlichen Coolheit.
Rebecca Wait schreibt in einer kargen, knappen Sprache, so als ob sie damit der felsigen Hebriden-Insel, auf der es häufig windet und regnet, einen Spiegel vorhalten müsste.
Gespenstische Atmosphäre
Der Grossteil der Lokalbevölkerung bleibt auf Distanz zu Tommy. Seine Gegenwart holt unschöne Erinnerungen hervor. Und die will man sich lieber ersparen.
Die meisten haben seinen Vater John gekannt: Er war einer von ihnen, hier aufgewachsen. Warum haben sie die wachsende Wut nicht rechtzeitig erkannt?
Allmählich dämmert einem beim Lesen, warum einzelne Inselbewohnerinnen und -bewohner sich nichts sehnlicher wünschen, als dass Tommy möglichst bald wieder verschwinden würde.
Raffiniert bringt uns Rebecca Wait auf eine Spur, warum diese Tragödie wohl geschehen ist. Könnte ein Verrat im Spiel gewesen sein? Auch das tönt die Autorin nur an, verdichtet – und erzeugt damit zuweilen eine gespenstische Atmosphäre.