Zu William Shakespeare sei alles gesagt, sagte schon Goethe. Trotzdem stösst die Wissenschaft auch nach 460 Jahren immer wieder auf neue Erkenntnisse.
Theaterkritiker Andreas Klaeui über den Stand der Forschung in Sachen Shakespeare anhand vier aktueller Beispiele.
War Shakespeare bekifft, als er schrieb?
«O thou weed who art so lovely fair and smell’st so sweet, that the sense aches atthee», sagt der eifersüchtige Othello zu Desdemona. Gewöhnlich wird das mit «Unkraut» übersetzt: Desdemona sei eine so liebreizende und süss duftende Pflanze, dass sie ihm den Sinn betäubt habe – aber in heutigen Ohren klingt «weed» nach etwas anderem.
Forscher aus Südafrika haben deshalb Fragmente von Tabakpfeifen untersucht, unter anderem aus Shakespeares Garten. Dabei sind sie tatsächlich auf Spuren von Cannabis wie auch von Coca-Blättern gestossen. Ob die Pfeifen wirklich Shakespeare gehörten, ist nicht bekannt – es würde die eine oder andere nebelhafte Irrung und Wirrung in seinen Dramen in ein neues Licht rücken.
Wer war Shakespeares Schwester?
Shakespeare kennen alle - dass er eine Schwester hatte, wissen die wenigsten. Joan Shakespeare Hart war fünf Jahre jünger als William. Sie lebte von 1569 bis 1646, überlebte ihren Bruder also um 30 Jahre. Und sie hat anscheinend einen merkwürdigen Text verfasst, das sogenannte «Spirituelle Testament» – das radikal katholisch ist. Zu Shakespeares Zeit war das verboten.
Bisher galt der Vater John als Autor. Ein Wissenschafter der Universität Bristol zeigt nun aber, dass wahrscheinlich eher Joan die Autorin dieser brisanten Schrift ist, die mit «J Shakespeare» unterschrieben ist. War Shakespeare also religiös, gar katholisch?
Hat Shakespeare abgeschrieben?
Manche von Shakespeares Quellen sind seit jeher bekannt, gelegentlich findet sich unvermutet eine neue. In detektivischer Arbeit haben Forschende aus den USA die Abhandlung eines Diplomaten namens George North aufgespürt, die Shakespeare für elf seiner Stücke verwendet haben soll. Sie trägt den Titel «A Brief Discourse of Rebellion and Rebels» aus dem Jahr 1576.
Mit Plagiatssoftware konnten die Wissenschaftler Gemeinsamkeiten in Wortwahl und Satzstruktur nachweisen, die nahelegen, dass Shakespeare die Schrift als Quelle benutzt hat. Der Vorgang funktioniert nebenbei auch in umgekehrter Richtung: Ebenfalls mit Plagiatssoftware haben Wissenschafter herausgefunden, dass Shakespeare vermutlich an einem Stück seines Zeitgenossen Thomas Kyd mitgeschrieben hat.
Shakespeare, ein eifersüchtigen Gatte?
Bevor er seine eigenen Dramen verfasste, trat Shakespeare als Schauspieler in Stücken seiner Dramatiker-Kollegen auf. Ein englischer Wissenschafter will nun nachweisen, in welchen: zum Beispiel in Ben Jonsons «Every Man in His Humour». Das ist an sich nichts Neues – seit dem frühen 18. Jahrhundert kursiert sogar die Legende, die Truppe habe das Stück nur gespielt, weil Shakespeare es unbedingt wollte.
Aber bisher dachten alle, Shakespeare habe in der Komödie den alten Vater gespielt. Nein, er spielt den eifersüchtigen Ehemann, sagt der Shakespeare-Forscher Darren Freebury-Jones. Bei diesem Part gebe es zahlreiche Übereinstimmungen mit Dialogen von Shakespeare selbst. Er habe möglicherweise unbewusst Formulierungen seiner Vorgänger übernommen, denkt der Forscher, und fügt an: «Er nimmt die Federn eines anderen Dramatikers und verwandelt sie in einen Pfau.»