Heidi ist in der Schweiz zuhause, das weiss jedes Kind. Aber das Mädchen aus Maienfeld sorgt auch im Ausland bis heute für Aufsehen. Vier Beispiele, die das Waisenmädchen als Weltenbummlerin ausweisen – dazu ein Blick über den Röschtigraben.
Hunde und Hollywood: Heidi in den USA
Der draufgängerische Wuschelkopf startete früh im Land der unbegrenzten Möglichkeiten durch. Wo, wenn nicht in den USA, sollte Heidi zum Filmstar werden? 1920 entstand der erste Heidi-Stummfilm. Bekannter aber war der Film von Allan Dwan, der Heidi 1937 mit dem Kinderstar Shirley Temple nach Hollywood brachte und kurz darauf in die Kinos Europas.
Der US-amerikanische Kinohit zeigte das Schweizer Alpenparadies – nur wurden die Alpenszenen in Kalifornien gedreht. Auch Heidi kam «amerikanischer» daher: mit blonden Locken statt dunklem Wuschelkopf.
Für einen kleinen Skandal sorgte der spätere Film «Heidi kehrt heim»: 1968, inmitten eines Spiels der American Football League zwischen den Oakland Raiders und den New York Jets, wurde die Übertragung für die Zuschauenden des Senders NBC plötzlich abgebrochen.
Stattdessen flimmerte der geplante «Heidi kehrt heim»-Streifen über den Bildschirm. Der Aufschrei war gross: Das Spiel ging als «Heidi Game» in die Geschichte ein.
Heidi hatte in den USA tierisch Erfolg – wortwörtlich: In «Heidi auf 4 Pfoten» (Original: «Heidi 4 Paws») ist Heidi auf den Hund gekommen. Dabei scheint es den vierbeinigen Schauspielern aber blendend zu gehen. Sie sind sogar in einer Jodelgruppe zu bestaunen.
Die Heidi-Geschichte nur von Hunden gespielt und das über 70 Minuten – das gibt es wohl nur in den USA.
Erdogan in Erklärungsnot: Heidi in der Türkei
Bereits 1927 erschien die erste türkischsprachige Fassung des Schweizer Bestsellers – und eroberte im Land am Bosporus die Herzen der Kinder im Sturm. Sogar in der Privatbibliothek von Mustafa Kemal Atatürk, dem Begründer der Türkischen Republik, soll eine «Heidi»-Ausgabe vorhanden gewesen sein.
Im Laufe der Jahre entstanden zahlreiche Neuübersetzungen der Bücher. Je nach Version bekamen die Charaktere aus Spyris Geschichte einen völlig neuen Charakter: Im Original sieht Heidi an einer Stelle im Buch einen Vogel. Sofort will die Abenteurerin den Berggipfel erklimmen, auf dem das Tier wohnt, um sein Nest zu erkunden.
Anders in einer Übersetzung eines türkischen Verlags: Darin erschreckt Heidis bester Freund Peter sie mit dem Vogel. Daraufhin weicht das verängstigte Mädchen nicht mehr von Peters Seite.
Haydi – wie sie im Türkischen bisweilen geschrieben wird – mauserte sich zum Kanon der türkischsprachigen Kinderliteratur. Der literarische Ritterschlag erfolgte 2005: Das türkische Bildungsministerium erhob Spyris Geschichte zu einem der 100 wichtigsten Werke der Kindererziehung.
Wenig später wurde der Roman zum Politikum: Der türkische Verlag «Karanfil» bildet 2007 in einer neuen Edition die Grossmutter von Klara Sesemann mit Kopftuch und weitem Mantel ab.
Das sorgte sowohl national als auch international für Aufsehen: «Jetzt werden schon Kinderbücher für Kopftuch-Propaganda benutzt», schrieb die türkische Boulevardzeitung «Hürriyet».
Die Opposition sah darin einen Schritt der Erdogan-Regierung, das Land weiter zu islamisieren. Das Bildungsministerium wies die Vorwürfe zurück: Die Liste beinhalte lediglich Titel und – in diesem Fall – keine spezifische Version von «Heidi».
Fleissiges Vorbild: Heidi bei den Hindus
Heidis Welt sind die Berge, und die gibt es auch in Indien. So schuf der Regisseur Abdul Rashid Kardar schon 1958 eine indische Heidi. In seinem Film «Do Phool» («Two Flowers») heisst Heidi Poornima und der Geissenpeter wird zu Jaggu. Die Geschichte wurde «indianisiert», schreibt der Filmwissenschaftler Michael Lawrence: Christliche Szenen wurden ausgelassen, stattdessen gab es Lieder zur Hindu-Mythologie.
Besonders betont wird in der indischen Version die Bedeutung der Bildung. Poornima und Jaggu lernen lesen, Poornima büffelt während ihrer Zeit in der Stadt Englisch. Bessere Bildung für Kinder war im Indien der 1950er-Jahre besonders wichtig: Endlich unabhängig von Grossbritannien sollte der Analphabetismus bekämpft werden. Die wissbegierige Heidi diente als Vorbild.
Das Buch wurde erst 60 Jahre später, 2017, in Hindi übersetzt – original nach Spyri, ohne indische Anpassungen.
Nach dem Holocaust: Heidi-Hotspot Israel
1946 – unmittelbar nach der Schoah – wurde «Heidi» erstmals ins Hebräische übersetzt. Die Motive, die in der Geschichte zur Sprache kamen, waren für die jüdische Bevölkerung zu dieser Zeit höchst relevant: Heimatverlust, Identitätssuche, Neubeginn. Zudem war Heidi als Waisenkind für viele jüdische Kinder, die ihre Eltern während der NS-Zeit verloren haben, eine starke Identifikationsfigur.
In frühen hebräischen Übersetzungen hiess das Buch «Heidi, Bat HaAlpim» – «Heidi, Tochter der Alpen». Da viele jüdische Kinder in der Alpenregion aufwuchsen, bevor sie fliehen mussten, wurde dieser emotionale Bezugspunkt aufgegriffen. In späteren Publikationen wurde der Titel in «Heidi, Bat HeHarim» – «Heidi, Tochter der Berge» – geändert.
In den hebräischen Übersetzungen wurden einige Details aus dem Original verfremdet. So reist Heidi nicht nach Frankfurt, sondern in eine «grosse Stadt». Heidis bester Freund Peter wurde zu Pierre, die Familie Sesemann zur Familie Gérard. Alles Deutsche war damals Tabu. Spätere Fassungen näherten sich dem Original wieder an.
Auch als Rezeptionsfigur in der Kunst prägte Heidi die kulturelle Identität des Landes. Der israelische Künstler Niv Fridman setzte Heidi in einer nahöstlichen Umgebung neu in Szene – und erschuf so sein Heidiland fernab des Alpenpanoramas.
Hausfrau Heidi: Fortsetzung auf Französisch
In der Deutschschweiz ist Heidi auf ewig ein Kind geblieben. In der Romandie wird Heidi erwachsen: von «Heidi grandit» bis «Heidi grand-mère». Die bekanntesten Fortsetzungen wurden vom Lausanner Charles Tritten geschrieben.
In seinen Bänden geht Heidi mit 15 Jahren aufs Mädchenpensionat, wird Lehrerin, dann Hausfrau und Mutter. Heidi ist braver, patriotischer – schliesslich entstanden die Fortsetzungen in Kriegszeiten.
Nach Tritten erschienen weitere französische Fortsetzungen mit kunterbuntem Themenmix: Heidi trifft etwa auf Lawinenhunde oder reist nach Amerika.
Dem Heidi-Hype sind wahrlich keine Grenzen gesetzt.