«Geschichten machen uns Menschen menschlich», sagt Markus Ramseier. Ramseier selber ist ein passionierter Erzähler: Als scharfzüngiger Schnitzelbänkler ist er an der Basler Fasnacht unterwegs. Als Schriftsteller hat er Romane, Erzählungen und Kinderbücher veröffentlicht.
Als zwischenzeitlicher Museumsdirektor in Liestal war er verantwortlich für spektakuläre Ausstellungen. Und in der Lokalzeitung veröffentlicht er Mundartkolumnen.
Was heisst «dr Chrummammech»?
Sein grösstes «Erzählwerk» ist aber das Orts- und Flurnamenbuch des Kantons Baselland, das er und sein Team letztes Jahr nach rund 30 Jahren Forschungsarbeit herausgegeben haben: Auf 6'300 Seiten in 7 Bänden finden sich rund 53'000 Namen von Fluren, Bergen, Gewässern und Siedlungen.
Namen, die zum Beispiel an einen früheren Besitzer eines Stück Lands erinnern, auf die Bodenbeschaffenheit, den Pflanzenbewuchs, die Form oder die Nutzung hinweisen.
Etwa der «Chrummammech»: So heisst die Flur, wo Markus Ramseier aufgewachsen ist. Der Name ist arg verschliffen aus ursprünglich «im krummen Mannwerk» – wobei Mannwerk ein altes Mass für die Fläche einer Matte ist.
«Öppe 50 Lööli im Baselbiet»
Das Baselbieter Namensbuch ist ein Nachschlagewerk mit hochverdichteten Wörterbuchartikeln, ähnlich lesefreundlich wie der Duden. Aber jede darin aufgeführte Flur habe eine unendliche Geschichte, meint Ramseier: «S git e Duubel, e Dotsch, e Säusack, en Ankelappi und öppe 50 Lööli im Baselbiet.»
Dabei habe «Lööli» nichts mit einem Schimpfnamen zu tun. Sondern es ist die Verkleinerung von «Loo» – ein altes Wort für einen kleinen Wald. «Wir machen uns oft falsche Vorstellungen von den Bedeutungen der Flurnamen», sagt Ramseier: «Genau mit diesem Spielraum spielen wir Flurnamenforscher, um kleine Geschichten erzählen zu können.»
Zur Flurnamenforschung habe ihn damals, nach dem Studium, sein Professor verführt: In diesem Beruf könne man am Waldrand «Füürli mache und Würscht brötle» beim Gespräch mit Bauern, Förstern und Jägern.
Das war nicht gelogen: In allen 86 Gemeinden des Kantons machte Markus Ramseier in den ersten Jahren Flurbegehungen mit Einheimischen, um die noch bekannten Flurnamen zu erfassen.
Staub aufwirbeln im fensterlosen Archiv
Danach aber kam die mühsame Archivarbeit. Viele Flurnamen sind mehrere Jahrhunderte alt und können nur mit historischen Belegen erklärt werden. Belege, die buchstäblich aus dem Staub der alten Dokumente gegraben werden müssen.
Am Ende findet man Hunderttausende von Namensnennungen, die man immer wieder neu umschichten muss. Zäh ist auch die Deutungsarbeit, denn längst nicht alle Flurnamen geben das Geheimnis ihres ursprünglichen Benennungsmotivs preis.
Je näher der Abschluss des Flurnamenbuches kam, desto stärker fühlte sich Markus Ramseier im «Versagermodus» – weil nur noch die ungedeuteten Knacknüsse übrigblieben.
Zeitnot, Geldknappheit, ständiger Legitimationsdruck gegenüber den Geldgebern kamen hinzu: Flurnamen erforschen ist wahrlich nicht nur ein Schoggijob.
Anekdoten in der Turnhalle
Aber bei den unzähligen Promotionsveranstaltungen in Turnhallen und Gemeindesälen mutierte Ramseier jeweils vom Wissenschaftler zum lustvollen Erzähler, der die Menschen mit seinen Flurnamengeschichten begeisterte.
Etwa mit der Anekdote, wie der «Süesswinkel» im Dorfzentrum von Pratteln entstanden sein soll. Eine Frau habe aus dem Fenster gerufen: «Was söll i hüt choche?» – und der Mann von unten geantwortet: «Ja machsch halt wider öppis Süesses». Das soll sogar verbürgt sein.
Gerne hätte Markus Ramseier auch im wissenschaftlichen Werk seinem Spieltrieb mehr Raum gegeben und Namen erfunden. Aber das hat er sich verkniffen. Die Realität sei so erfinderisch, das man nichts zu erfinden brauche.
Heute sind die Flurnamen betongrau
Sagt er und schildert zum Beweis die überbaute Rheinebene östlich von Basel. Da sehe man nebeneinander den «Aquila-Tower», den «Ceres-Tower», den «Helvetia-Tower» und das «Aqua Basilea»: Allesamt moderne, «senkrechte und betongraue» Flurnamen, die nach lateinischem Vorbild neu geprägt wurden.
Dazwischen erinnert eine grüne Restfläche an frühere Zeiten – sie heisst «Hexmatt» und wurde einigen Frauen zum Verhängnis. Aber das ist wieder eine andere Geschichte.