Verlagslektorin Michi Strausfeld holte über 40 Jahre lang das Beste vom Besten der spanischsprachigen Literatur in die Verlage Suhrkamp und später S. Fischer. «Als ich 1974 bei Suhrkamp anfing», erzählt die 77-Jähige, «war Literatur aus iberoromanischen Ländern in Deutschland nahezu unbekannt.»
So hatte Strausfeld freie Hand, den damaligen Kanon einzukaufen: vom Argentinier Julio Cortázar, über den Uruguayer Juan Carlos Onetti, den Mexikaner Octavio Paz und viele mehr.
Die Entdeckung der Allende
Sie bekam auch jedes Jahr eine Carte Blanche für eine Entdeckung. 1984 entschied sie, den Debütroman einer namenlosen junge Chilenin zu publizieren. «Das Geisterhaus» von Isabel Allende wurde ein Millionenbestseller – eine der vielen Erfolgsgeschichten in Michi Strausfelds Karriere.
«Die spanische Literatur», sagt Michi Strausfeld, «hat lange im Schatten der südamerikanischen gestanden.» Sie sei ausserdem empfindlich eingeengt gewesen durch die Militärdiktatur. Als Spanien 1991 Gast an der Frankfurter Buchmesse, habe man aber Aufbrüche spüren können.
Franco war seit 20 Jahren tot, nun waren die «Autorinnen und Autoren der Demokratie» da: Eduardo Mendoza, Jorge Semprun oder der kürzlich verstorbene Javier Marías hielten der spanischen Gesellschaft Spiegel vor.
Frauen waren damals allerdings nur spärlich vertreten. Heute sei das ganz anders, sagt Michi Strausfeld: «Es gibt heute nahezu eine gleiche Zahl weiblicher und männlicher Autoren. Die Frauen sind sehr viel mehr ins Blickfeld geraten, haben sehr viel mehr publiziert und werden sehr viel mehr diskutiert.»
Mehr Frauen, andere Themen
Und sie hätten auch ein ganz neues Thema in die spanische Literatur eingebracht – die Landflucht einerseits, andererseits die Flucht zurück aufs Land aufgrund der prekären ökonomischen Verhältnisse. Michi Strausfeld erwähnt die Bücher von Andrea Abreu und Irene Solà, die die Folgen der ökonomischen Krise von 2008 thematisieren.
Kinder, die bei ihren Grosseltern aufwachsen, weil sich die Eltern für ihren Lebensunterhalt irgendwo verdingen müssen; junge Menschen, die feststellen, dass es ihnen trotz besserer Ausbildung deutlich schlechter geht als der Generation vor ihnen.
«Mileuristas» nennen sie sich, die Generation, die mit 1000 Euro im Monat auskommen muss. Die jungen Autoren Kiko Amat und Miqui Otero, rabiat der eine, zart der andere, sind ihre wichtigsten literarischen Vertreter.
Blicke zurück und nach vorn
Die spanische Literatur, sagt Michi Strausfeld, sei nicht auf Leitthemen fokussiert. Trotzdem gebe es intensive Blicke zum Beispiel auf die ethnischen Konflikte des Landes oder in die Vergangenheit – letzteres nachzulesen in Almudena Grandes’ Bürgerkriegsroman «Die drei Hochzeiten von Manolita».
Ein Auftritt als Gastland an der Frankfurter Buchmesse bedeutet jeweils auch viele Übersetzungen, die präsentiert werden: Über 400 Bücher sind es, anhand derer man in die spanische Literatur eintauchen kann. Es ist eine Literatur, die heute lebendiger ist denn je und auch im eigenen Land zunehmend boomt.