Die österreichische Kaiserin Elisabeth hat Hochkonjunktur. Es gibt einen neuen Kinofilm über Sisi («Corsage»), zwei TV-Serien, ein Film von Frauke Finsterwalder und Christian Kracht ist in Arbeit.
Und da ist die Sisi von Karen Duve: Die deutsche Autorin sorgt mit ihrem akribisch recherchierten Roman über eine Frau für Furore, die die Welt bis heute auf Trab hält. Ein Gespräch über die Poesie und Probleme einer Pferdenärrin, die an Lady Di erinnert.
SRF: Wie erklären Sie sich den aktuellen Sisi-Hype?
Karen Duve: Sisi ist eigentlich immer präsent. Hat man erst mal mit ihr zu tun, bleibt man an dieser Persönlichkeit kleben, weil sie sich einfach für alles eignet. Egal, was man zeigen oder erklären möchte.
An welcher der vielen Seiten von Sisi sind Sie kleben geblieben?
Mich hat vor allem interessiert, dass sie zu ihrer Zeit und lange darüber hinaus in ganz Europa als legendäre Reiterin bekannt war. Dass sie so eine ausgesprochene Perfektionistin war. Sisi trieb alles, was sie anpackte, ins Extreme.
Das Reiten war so etwas wie eine Flucht aus ihrem Leben, aus ihrer Unzufriedenheit und Grübelei.
Das Reiten war auch der Ausgangspunkt für Ihren Roman.
Eigentlich wollte ich ein Buch über das Reiten schreiben. Dann stiess ich auf diese Reiterin, die gleichzeitig so viel mehr zu bieten hat.
Was bedeutete der Reitsport für Sisi?
Das Reiten war so etwas wie eine Flucht aus ihrem Leben, aus ihrer Unzufriedenheit und Grübelei. Sisi war eigentlich schwer depressiv und melancholisch. Aber sobald sie in England war, hiess es: Sattel aufs Pferd und los.
Sisi betrieb aber einen hochgefährlichen Leistungssport, bei dem es Verletzungen gibt, Leute vom Pferd fallen und sich irgendwas brechen oder sogar sterben. Da hat man einfach keine Zeit zu grübeln.
Reitsport – das Bungee-Jumping des 19. Jahrhunderts?
Jedenfalls waren diese Jagdrennen nichts, was man einer Kaiserin normalerweise erlaubt hätte. Dazu waren sie zu gefährlich. Ausserdem wären diese Parforce-Jagden auch die ideale Möglichkeit für Attentate gewesen.
Sisi hat diesen Wahnsinn mit den Diäten und der Fitness sowie den ganzen Schönheitskult vorweggenommen.
Kommt dazu, dass Sisi die Mutter des Thronfolgers war. Das Volk hoffte, dass noch einmal ein Kind nachkommen würde. Sisi hingegen schien es egal zu sein.
Die Sisi, die Sie in Ihrem Buch ins Zentrum stellen, ist für die damalige Zeit schon alt: Ende 30.
Eine Matrone, hätte man damals gesagt. (lacht)
Hatte sie sich zu diesem Zeitpunkt schon vom Hof und seinen gesellschaftlichen Zwängen «emanzipiert»?
Sie hatte sich vielem entzogen. Aber es gab immer noch ein paar Zwänge, die sie bedienen musste. Wenn der Schah von Persien kam, musste Sisi anwesend sein, weil dieser Schah nicht wieder abreisen wollte, bevor er nicht diese schönste Frau Europas gesehen hatte.
Vor allem aber waren diese Ausflüge ins Ausland eine Möglichkeit zur Flucht. Und zwar ganz buchstäblich. Sisi war wie Lady Diana. Sie wurde ständig von Paparazzi verfolgt, auch wenn die damals meistens nicht mit der Kamera, sondern mit dem Zeichenstift unterwegs waren.
Warum fühlt man sich von dieser Person bis heute so wahnsinnig angesprochen, dass man «kleben bleibt», wie Sie sagten?
Sisi eignet sich hervorragend als Projektionsfläche, auch weil man so viel über sie weiss. Sie hat diesen Wahnsinn mit den Diäten, der Fitness und den ganzen Schönheitskult vorweggenommen. Man könnte fast sagen: Sisi war eine Influencerin.
Gleichzeitig, das ist vielleicht der feministische Ansatz, war Sisi auch eine totale Rollenverweigerin. Das ist ja immer interessanter als jemand, die das macht, was man von ihr erwartet.
Eine Frau, faszinierend viele Facetten.
Wenn man ein bisschen Weltflucht mit Pastell haben möchte, kann man sich die jüngeren Jahre anschauen. Wenn einen interessiert, wie eine Gesellschaft im Untergang begriffen ist und noch kämpft und wie Sisi das bereits durchschaut, weil sie so klug ist, dann kann man sich diesem Aspekt zuwenden.
Man kann den Sport in den Fokus nehmen, ihre Depressionen, ihre Sprunghaftigkeit. Aus heutiger Sicht sieht es oft so aus, als wenn sie zwischen Nahbarkeit und Kaltherzigkeit hin- und herpendelte.
Konnte Sissi auch nett sein?
Ihre Freundlichkeit war die absolute Ausnahme für jemanden, die so viel repräsentieren muss, sich keine Blösse geben und sich mit niemandem gemein machen darf. Dass sie das immer wieder tat, muss man ihr hoch anrechnen.
Das Gespräch führte Nicola Steiner.