Es ist das Jahr von Barack Obamas Amtsantritt, als Nero Julius Golden mit seinen Söhnen nach New York einwandert. Golden heisst nicht wirklich so, aber was für ein Name könnte besser ablenken von seiner düster-kriminellen Vergangenheit als die Anspielung auf antike Macht und Pracht?
Seine drei Söhne Petronius, Apuleius und Dionysos steuern allerdings auf die unterschiedlichsten Tragödien zu. Das können weder Goldens Milliarden noch sein Grössenwahn verhindern. Und mit seiner neuen Frau, der so schönen wie schlauen Russin Wasilisa, holt sich Golden seine ärgste Feindin ins Haus.
Trump als grünhaariger Bösewicht
Rushdies Geschichte ist gebettet in brandaktuelle Wirklichkeit. Während sich die Familiensaga zuspitzt, betritt im Hintergrund jemand die Bühne, den Rushdie den «Joker» nennt: «der grünhaarige weisshäutige Kicherer mit dem aufgeschlitzten roten Mund, der ein militärisches Beraterteam viermal fragte, warum der Einsatz von Nuklearwaffen so schlimm sei.»
Der Joker sei «nachweisbar geisteskrank». Auch die, die ihn später wählen werden, tun dies im Bewusstsein seines Geisteszustandes.
Kunstform für die Wirklichkeit
Erzählt wird diese aus Fiktion und politisch-gesellschaftlichen Fakten gemischte Geschichte über lange Strecken wie ein Drehbuch mit Regieanweisungen. Ich-Erzähler ist der junge Nachbar René, der die Familienereignisse der Goldens für ein Filmprojekt verfolgt.
In Zeiten von «Fake News» sei die klassische Dokumentation vielleicht gar nicht mehr geeignet, um Wirklichkeit zu fassen, findet René. Vielleicht müsse man die Kunstform der Zukunft «Spottumentation» nennen.
Viele Seitengeschichten
Inhaltlich stellt sich Rushdie den aktuellen Themen und Fragestellungen. Erzählerisch bleibt er seinem eigenen Modell treu: Er erzählt klassisch realistisch, schweift aber ständig wegen der enormen Mengen an Bildungsgut und Seitengeschichten ab.
So spannend die Familiengeschichte ist, so sehr stehen die fast zwanghaften Aktualitätsbezüge unverbunden daneben, ohne dass ersichtlich würde, inwiefern sie zueinander gehören.
Zum Scheitern verurteilt
Rushdie will mit dem Roman den «Jetztmoment» einholen. Dass sein ehrgeiziges Projekt zum Scheitern verurteilt ist, liegt eigentlich in der Natur der Sache.
Literatur ist nicht Journalismus. Wenn ihr politische und gesellschaftliche Analyse gelingt, dann dort, wo sie eine neue Ebene des Verstehens findet. Das geschieht meist mit grösserem zeitlichen Abstand.
Die Frage nach der Zukunft
So erliegt Rushdies Roman der Gefahr, ungeheure Informationsmengen regelrecht übereinanderzustapeln, ohne dass die Ebenen von Fakt und Fiktion sich wirklich zu einer neuen Form fügen.
Rushdie verlegt die klassische Familientragödie ins Zeitalter der Fake News. Damit gelingt es ihm, die bange Frage nach der Zukunft zugespitzt zu stellen.
Wenn Menschen so machtbesessen und wahnsinnig verführbar sind, wie er beschreibt – wohin steuern sie, wenn sie sich von Geisteskrankheit – statt von Vernunft und Toleranz – regieren lassen?
Sendung: Radio SRF 2 Kultur, Kultur Kompakt, 12.9.2017, 16:50 Uhr