1994 ist die Situation der Familie Sattouf verfahren: Vater Abdel ist einige Jahre zuvor nach Syrien zurückgekehrt und hat Riads kleinen Bruder Fadi in seine Heimat entführt. Mutter Clémentine steht seither am Rand des Zusammenbruchs und sucht überall Hilfe – beim französischen Präsidenten, bei einer Hellseherin und sogar bei einem Ex-Spion.
Am Anfang des 6. Bands von «Der Araber von morgen» ist Riad Sattouf 16. Er zieht nach Paris, studiert an einer Kunsthochschule und macht seine ersten Schritte in der Comicszene.
Geprägt vom autoritären Vater
Der autoritäre, streng muslimische Vater ist abwesend – und doch sehr präsent. Riad stellt sich, egal was er denkt oder tut, ständig vor, wie sein Vater ihn dafür kritisiert.
Als Riad nicht mehr weiter weiss, beginnt er eine Psychotherapie. Etwa zur gleichen Zeit erreicht ihn aus heiterem Himmel eine E-Mail seines Bruders Fadi und stellt einiges auf den Kopf.
Der doppelte Aussenseiter
In seiner sechsbändigen Graphic Novel «Der Araber von morgen» arbeitet Riad Sattouf sein Aufwachsen zwischen zwei Kulturen auf. Er verbrachte seine Kindheit im ländlichen Syrien und kehrte erst mit 12 Jahren nach Frankreich zurück. Er war in beiden Gesellschaften ein Aussenseiter. Das schärfte seinen Blick und macht seinen Humor so unbestechlich, wenn er die Ungereimtheiten beider Welten entlarvt.
Im Mittelpunkt steht der Konflikt zwischen dem syrischen Vater und der französischen Mutter: Der Vater, ein promovierter Historiker der Sorbonne, entwickelte sich vom aufgeklärten Idealisten zum reaktionären Muslim, dessen Lebensweise unverträglich wird mit den Vorstellungen der Mutter. In Sattoufs familiärem Schicksal spiegelt sich einer der grossen Konflikte unserer Zeit. Das macht «Der Araber von morgen» so relevant.
Selbstironie statt Selbstmitleid
Der erste Band von «Der Araber von morgen» erschien 2014, der syrische Bürgerkrieg war voll im Gang, Frankreich wurde wenig später von islamistischen Anschlägen erschüttert. Identitätsfragen, Interkulturalität, die Unvereinbarkeit eines fundamentalistischen Islam mit europäischen Werten sind dringliche Themen – und die verhandelt Sattouf aus einer persönlichen Perspektive, schonungslos ehrlich und mit wunderbarem Humor.
Selbstmitleid gibt es in «Der Araber von morgen» keins, dafür Selbstironie und messerscharfen Witz. Sattouf ist in der Lage, in allem das Komische zu sehen, auch in dem, was ihm spürbar nahegeht.
Hochkomisch und zutiefst berührend
Der Humor schwächt die Aussage und die Wirkung nicht ab, im Gegenteil: Er schärft und vertieft sie. Dazu verleihen die skizzenhaften, karikaturistischen Zeichnungen der Geschichte Authentizität und Tempo.
Wie er seine ersten Schritte in der Comicszene zeichnet, seine erfolglosen Flirts, seinen inneren Konflikt mit dem Vater, seine Versuche, schriftlich mit seinem fernen Bruder zu kommunizieren: Das ist immer hochkomisch und doch auch, bei aller Zuspitzung, zutiefst berührend.
Der 6. Band von «Der Araber von morgen» schliesst Riad Sattoufs Auseinandersetzung mit seinem Aufwachsen auf fulminante Weise ab. Und endet – so viel darf hier verraten werden – mit einer versöhnlichen Note.