Vor dem Europäischen Menschenrechtsgerichtshof hat diese Woche ein aufsehenerregender Prozess begonnen: Die Ukraine klagt gegen Russland – wegen der Annexion der Krim vor fünf Jahren. Bis zum Urteil wird es noch Monate dauern.
Über 13’000 Todesopfer hat der Krieg im Donbassgebiet der Ostukraine bis heute gefordert – und noch immer sterben im Gebiet um Donzek und Lugansk täglich Menschen.
Zwischen den Fronten
Der in Kiew lebende 58-jährige Andrej Kurkow gibt in seinem neuen Roman «Graue Bienen» den einfachen Menschen eine Stimme, die in der sogenannten grauen Zone leben: jenem 450 Kilometer langen Streifen Niemandsland zwischen den Frontlinien.
«Im Gebiet leben mehrere Millionen Menschen, die nicht wissen, wann das Leben zur Normalität zurückkehren wird», sagt Andrej Kurkow.
Der Bienenzüchter in der Zone
In «Graue Bienen» erzählt der Autor die Geschichte eines fiktiven Bienenzüchters, der alleine mit seinen Tieren in einem tristen Dorf irgendwo in der «grauen Zone» ausharrt. Alle anderen Dorfbewohner sind längst geflohen.
Doch der Imker hängt an seiner Heimat. Trotz gespenstischer Einsamkeit, trotz Kälte. Obwohl es keinen Strom gibt und keine Lebensmittel. Und obwohl von den Hügeln, die das Dorf umgeben, permanent die Geschütze donnern.
Um die politischen Ursachen des Kriegs kümmert sich der Imker nicht. Die apolitische Apathie seiner Romanfigur sei typisch für viele Menschen im Donbass, sagt Andrej Kurkow. «Man wartet drauf, dass irgendjemand kommt, und das Problem löst, anstatt selbst aktiv zu werden.»
Der politische Autor
Andrej Kurkow selbst hat sich seit den Maidan-Protesten 2013 immer lautstark in das politische Geschehen eingemischt: Er hat sich etwa gegen den damaligen Präsidenten Wiktor Janukowitsch ausgesprochen oder später – bei der russischen Annexion der Krim – gegen Wladimir Putins Ukraine-Politik.
Seit dem Amtsantritt Wolodymyr Selenskys als Präsident der Ukraine hat im Verhältnis zu Russland ein gewisses Tauwetter eingesetzt. Dies gebe zum ersten Mal seit Langem Anlass zur Hoffnung, ist Kurkow überzeugt.
So sei der Austausch von Kriegsgefangenen zweifelsohne ein starkes Zeichen der Entspannung. Dass sich Waldimir Putin indessen durch eine Verurteilung Russlands durch den Europäischen Menschenrechtsgerichtshofs beeindrucken liesse, glaubt Andrej Kurkow nicht.
Kurkow bleibt skeptisch
Grössere Hoffnungen setzt Kurkow auf baldige politische Verhandlungen im sogenannten Normandie-Format – mit den Spitzenpolitikern Russlands, der Ukraine, Frankreichs und Deutschlands. Nur: Auch wenn es dereinst gelingen sollte, die Waffen in der Ostukraine zum Schweigen zu bringen, bleibe der Weg zu einem Frieden lang.
«Es gab viele, auch Ukrainer, die Kriegsverbrechen begangen haben.» Er bleibe skeptisch, sagt Kurkow, ob die tiefen Narben des Kriegs dereinst verheilen werden.
Der Weg zurück
In seinem Roman bietet sich ein optimistischeres Bild. Der einsame Imker in der «grauen Zone» sieht sich zwar irgendwann doch noch gezwungen zu fliehen. Er besinnt sich nach einiger Zeit aber eines Anderen und kehrt in sein Dorf zurück: Er will seine Welt nicht aufgeben.
Im Roman liegt es nicht alleine an der Politik, Frieden zu stiften, sondern auch an den einzelnen Menschen: Wenn sie den Willen aufbringen, Hass und Nationalismus abzulegen und zu einem Miteinander zurückzukehren, ist eine Zukunft möglich.