Sie war erst im September gewählt worden – Mitte Januar ist sie bereits wieder zurückgetreten: Die Illustratorin Anastassija Archipowa ist nicht mehr Jury-Präsidentin des renommierten Hans-Christian-Andersen-Preises, des wichtigsten Preises für Kinder- und Jugendliteratur überhaupt.
Sie wolle den Ruf von IBBY, dem International Board on Books for Young People, nicht gefährden, sagte Archipowa, die als Illustratorin von Werken der Brüder Grimm und Märchen von Hans Christian Andersen international bekannt wurde.
Eine Russin? Geht gar nicht!
Dem Rücktritt vorangegangen sei in den letzten Wochen eine destruktive Kampagne gegen Anastassija Archipowa – in sozialen Medien genauso wie in etablierten, beklagt Sylvia Vardell, Präsidentin des IBBY, das den Andersen-Preis vergibt.
Eine Russin in einer wichtigen Position einer internationalen Organisation – das gehe offenbar nicht mehr. Die Illustratorin wurde beschuldigt, Russlands Krieg gegen die Ukraine zu unterstützen. Sie ist nämlich Mitglied des Moskauer Künstlerverbands MOCX. Dieser rief im Herbst in einem gemäss Sylvia Vardell «hässlichen» sogenannten Kunstwettbewerb namens «Agitfront» dazu auf, Kriegspropaganda zu entwerfen.
Künstler nur ihrer Nationalität wegen zu canceln, muss aufhören!
Archipowa war laut der IBBY-Präsidentin nicht an solchen Propaganda-Aktionen beteiligt. Die Illustratorin sei sich aber der Aussenwirkung ihres Amtes bewusst und habe Schaden von der Jury und dem Hans-Christian-Andersen-Preis nehmen wollen, so Vardell.
Ein Rücktritt also aus Rücksicht auf die Organisation IBBY und deren Ruf. «Dies geschah, um die Reputation des Internationalen Kuratoriums für das Jugendbuch nicht zu gefährden», sagt Vardell.
Schmutzige Kampagne gegen die Falsche?
Die Kampagne gegen Anastassija Archipowa habe sich das falsche Ziel ausgesucht, sagt die Professorin aus Texas. «Archipowa hat ihre Ansichten gegen jede Gewalt an Kindern klar ausgedrückt.» Sylvia Vardell gibt zudem zu bedenken: In ihrem Land könne sich Archipowa öffentlich nicht frei äussern. Doch ihre Position habe sie deutlich gemacht, und die passe zur Haltung von IBBY.
«Künstler nur ihrer Nationalität wegen zu canceln, muss aufhören!», sagt Vardell. Weder IBBY noch ihre Mitglieder verträten Positionen ihrer Regierungen. «Die Organisation arbeitet wirkungsvoll in vielen Ländern als Botschafterin für Frieden und Bücher», betont Vardell.
Der von Vardell geleitete Vorstand nahm Archipowas Rücktritt an und bestellte die frühere IBBY-Präsidentin Liz Page zur Interimsvorsitzenden für den Hans-Christian-Andersen-Preis 2024. Die Juryarbeit soll nun in ruhige Fahrwasser zurückkehren.
Silvia Vardell hofft, dass nun alle Kritiker Archipowas sich mit gleicher Verve für die Ziele von IBBY einsetzen: für den Frieden und dafür, dass Kinder und Bücher zusammenkommen.