Sally Rooney ist bescheiden. Sie sagt über sich selbst, dass sie keine interessante Person sei. Sie lebt in der irischen Provinz, hat sich aus den sozialen Medien zurückgezogen und gibt nur wenig Interviews. Der Trubel um ihre Bücher ist umso grösser. «Intermezzo» verspricht, anders als ihre bisherigen Bücher zu sein. Aber inwiefern?
Zwei gegensätzliche Brüder
Der neue Roman stellt erstmals zwei Männer ins Zentrum. Genauer: Zwei trauernde Brüder. Ivan und Peter Koubek haben gerade ihren Vater verloren, die erste Szene spielt an der Beerdigung. Der Verlust scheint das Einzige, was die ungleichen Brüder eint.
Ivan ist 22, ein introvertiertes Schach-Genie und Physik-Student. Peter ist 32 und ein charismatischer Anwalt mit Hang zu Sex und Drogen. «Peter ist jemand, der ganz leicht über die Oberfläche des Lebens gleitet», sagt Ivan über ihn.
Liebe als Heilsversprechen
Trauer und die Frage, wie Menschen damit umgehen, liegen diesem Roman zugrunde. Das ist neu, das ist ein Wagnis. Und es gelingt. Die Botschaft: Es gibt nicht nur eine Art zu trauern. Alle trauern auf ihre Weise. Was für Rooney-Fans hingegen vertraut ist, sind die Liebesgeschichten und Sexszenen, nach denen ihre Figuren sich sehnen. Die Liebe ist auch in «Intermezzo» ein Heilsversprechen.
Ivan verliebt sich in eine deutlich ältere Frau, die 36-jährige Margaret – und sie sich in ihn. Sein Bruder Peter verkörpert auch hier das Gegenteil – und führt eine Beziehung mit der 10 Jahre jüngeren Hausbesetzerin Naomi. Gleichzeitig liebt er aber Sylvia, seine Jugendliebe, die seit einem tragischen Unfall unter chronischen Schmerzen leidet.
Komplexer als erwartet
«Intermezzo» bedient einige Klischees. Der arrogante Anwalt, der seine junge Freundin in Kaschmir kleidet, ist nur eines davon. Über die fast 500 Seiten hinweg bleibt jedoch kaum etwas so, wie es scheint. Wann immer man denkt, man hat die Figuren durchschaut, machen sie unterwartete Züge. «Intermezzo» sagt man dazu beim Schach.
Es sind die Intermezzi, die die Spannung halten. Und Rooneys einzigartige Sprache: ein Strom, der die Lesenden mitreisst. Kurze Sätze, Ellipsen, keine Anführungszeichen. Meist ist unklar, ob einer gerade denkt oder spricht. Und obwohl der Roman gespickt ist von Shakespeare-Zitaten ist und sogar der Soziologe Bourdieu auftaucht, ist ihre Sprache nicht elitär, sondern zugänglich.
Hoffnungsvoll deprimiert
Die Figuren im Buch leiden ausgiebig. Unter der anhaltenden Trauer, unter gesellschaftlichen Normen, unter Depressionen, Schlafstörungen und am meisten unter sich selbst. Hier findet sich ein Schlüssel zu Rooneys Erfolg: Was ihre Figuren so nahbar macht, sind ihre falschen Entscheidungen. Und diese treffen sie, obwohl sie es besser wüssten.
Schlussendlich geht es um die simple Frage: «Was braucht ein Leben, um erträglich zu sein?». Darauf liefert Rooney nicht die eine Antwort. Ihre Figuren sind «alle deprimiert», wie es an einer Stelle heisst, aber irgendwie dennoch hoffnungsvoll. Das ist tröstlich. Und absolut lesenswert.