Hindi ist – nach Chinesisch und Englisch – die meistgesprochene Sprache der Welt. Etwa 600 Millionen Menschen in Indien sprechen es, für 370 Millionen ist es ihre Muttersprache. Auch für die indische Schriftstellerin Geetanjali Shree.
Hindi statt Englisch
Angesichts der weiten Verbreitung von Hindi mag es absurd erscheinen, dennoch wird Shree immer wieder gefragt, warum sie auf Hindi schreibe – und nicht «einfach» auf Englisch, so wie ihre bekannten Schriftstellerkollegen Salman Rushdie und Arundhati Roy.
Der englischsprachige Buchmarkt wird international am meisten beobachtet. Und: Es gibt deutlich mehr Übersetzerinnen und Übersetzer aus dem Englischen als Hindi. Trotzdem verfasst Shree ihre Texte auf Hindi. Wirtschaftliches Kalkül ist ihr beim Schreiben fremd.
Sprache des Herzens
«Eine Schriftstellerin schreibt in der Sprache, in der sie schreiben kann. Egal, ob das eine viel oder wenig gesprochene, eine einflussreiche oder unbekannte Sprache ist», sagt Shree gegenüber SRF. «Hindi ist die Sprache, die mir am nächsten ist. Zur ihr spüre ich eine regelrecht körperliche Verbindung.»
In der «Sprache des Herzens» zu schreiben, hat sich als goldrichtig erwiesen: Im vergangenen Jahr erhielt Shree für ihren Roman «Ret Samadhi» den International Booker Prize, und damit einen der weltweit wichtigsten Literaturpreise. Es war das erste Mal, dass ein auf Hindi verfasster Text prämiert wurde.
Den Preis teilt sich Shree mit ihrer Übersetzerin Daisy Rockwell, die «Ret Samadhi» ins Englische übertragen hat. Titel des Buchs: «Tomb of Sand», zu Deutsch etwa «Sandgrab». Eine deutsche Fassung liegt noch nicht vor.
In dem gefeierten – und vielschichtigen – Roman geht es um eine 80-jährige Frau, die nach dem Tod ihres Mannes beginnt, über ihre Vergangenheit nachzudenken. Nicht zuletzt über ihre Rolle als Mutter, in der ständig von ihr verlangt wurde, sich aufzuopfern. Die Frau wagt dann, trotz ihres hohen Alters, einen Neuanfang.
«Eine der 100 inspirierendsten Frauen der Welt»
Das ist Shrees grosses Thema: das Leben von Frauen in Indien. Geetanjali Shree kann man getrost als Feministin bezeichnen. Die britische BBC listete sie jüngst als eine der «100 einflussreichsten und inspirierendsten Frauen der Welt».
Shree prangert die Ausbeutung von Frauen, die Diskriminierung und die hohe Vergewaltigungsrate in Indien an. Aber sie sagt auch: «Weltweit herrschen patriarchale Strukturen vor, nicht nur in Indien. Der globale Westen macht es sich mitunter sehr leicht, wenn er von oben herab auf vermeintlich rückständige Länder schaut. Damit lenkt er nur von den eigenen Problemen ab.»
Ein Podcast über Bücher und die Welten, die sie uns eröffnen. Alle zwei Wochen tauchen wir im Duo in eine Neuerscheinung ein, spüren Themen, Figuren und Sprache nach und folgen den Gedanken, welche die Lektüre auslöst. Dazu sprechen wir mit der Autorin oder dem Autor und holen zusätzliche Stimmen zu den Fragen ein, die uns beim Lesen umgetrieben haben. Lesen heisst entdecken. Mit den Hosts Franziska Hirsbrunner/Katja Schönherr, Jennifer Khakshouri/Michael Luisier und Felix Münger/Simon Leuthold. Mehr Infos: www.srf.ch/literatur Kontakt: literatur@srf.ch
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Wichtig sei, dass sich die Frauen überall auf der Welt zusammentun, um für Gerechtigkeit zu kämpfen.
Direkt, pathetisch, feministisch
In ihren öffentlichen Statements ist Geetanjali Shree sehr direkt, mitunter pathetisch. In ihren Erzählungen kommt der Feminismus zarter und leiser daher. In ihrem Debütroman «Mai» etwa geht es um eine Frau, die zwar augenscheinlich unfrei lebt. Im Nachhinein stellt sich jedoch heraus, dass sich diese Frau zeitlebens viele Schlupflöcher aus der Unterdrückung gesucht hat.
«Solche Geschichten will ich erzählen», sagt Geetanjali Shree, «Geschichten über Frauen, die Grenzen verschieben oder sprengen.» Sie wolle den Blickwinkel nicht auf die Unterdrückung von Frauen legen – sondern auf die Befreiung.