Böse Zungen nennen sie die «Hunger Games» des Literaturbetriebs: die Tage der deutschsprachigen Literatur in Klagenfurt. Es braucht viel Mut, um vor laufender Kamera zu lesen. Doch die wirkliche Herausforderung liegt darin, die schonungslose Kritik der Juroren zu ertragen. Sogar Juror Juri Steiner ist mit seiner «Schweizer Höflichkeit überrascht, wie hart die Bandagen sind.» Dieses Jahr wurden fünf Kandidaten aus der Schweiz geladen – so viele wie seit 2002 nicht mehr.
Schweizer seid keine Mimosen
Die Schweizer Jurorin Hildegard Keller hat vor sechs Jahren nur eine Hand voll Schweizer Bewerbungen erhalten. Dieses Jahr kamen bereits 25 bis 30 von 300 aus der Schweiz.
Keller sieht einen Grund der neuen Schweizer Präsenz beim Wettbewerb im Literaturinstitut in Biel, das sich für Ausbildung und Coaching der Autoren einsetzt. Sie selber habe aber auch oft die Werbetrommel gerührt und die Autoren aufgerufen: «Meldet Euch! Seid keine Mimosen und setzt euch dem aus. Es ist eine Lust dabei, am Wettbewerb mitzumachen. Wie an einem Sportwettkampf.» Der Appell scheint gefruchtet zu haben.
Diese fünf Schweizer dürfen in den Ring
Hildegard Kellers Wahl fiel auf Dana Grigorcea und Monique Schwitter. Auch Juri Steiner wurde bei seinen Landsleuten fündig und lud Tim Krohn und Jürg Halter ein. Die fünfte Schweizerin, Nora Gomringer, wurde von der deutschen Jurorin Sandra Kegel eingeladen.
Allerdings verschwimmen die Nationalitäten etwas: Die Schweizerin Monique Schwitter lebt in Deutschland, der Deutsche Tim Krohn ist in der Schweiz aufgewachsen und Nora Gomringer ist schweizerisch-deutsche Doppelbürgerin und lebt in Bamberg.
Wieder «mündlich ungenügend» für Schweizer?
Das helvetische Aufgebot ist nicht nur quantitativ, sondern auch qualitativ vielversprechend. Tim Krohn – mit 50 der Doyen unter den 14 Preisanwärtern – hat am meisten Veröffentlichungen und Auszeichnungen in seinem Curriculum. Mit dem Klagenfurter Wettlesen hat er sowieso noch ein Hühnchen zu rupfen: Bei seiner ersten Teilnahme 1997 wurde er von den Kritikern arg zerzaust.
Auf der Habenseite hat Krohn – ausser seinem Bestseller «Quatemberkinder» – eine akzentfreie hochdeutsche Aussprache. Dasselbe ist auch von Nora Gomringer zu sagen, deren Vater Eugen als Begründer der Konkreten Poesie gilt. Die Tochter ist eine herausragende Vertreterin der Spoken-Word-Bewegung.
Zu dieser gehört auch der Berner Jürg Halter – nur halt mit Akzent. Bleibt zu hoffen, dass er in Klagenfurt aus seinem dialektalen Singsang ebenso Kapital zu schlagen vermag wie letztes Jahr sein Kompatriot Michael Fehr, der den zweiten Preis erhielt. Der performative Hintergrund einiger Autoren hilft zumindest, um die Angst vor dem öffentlichen Auftritt zu verringern.
Der Preisregen
Das Wettlesen wird am 1. Juli mit der Auslosung der Lesereihenfolge eröffnet. Die traditionelle Eröffnungsrede hält der Gewinner des Bachmann-Preises 2010, Peter Wawerzinek. Sie steht unter dem Titel «Tinte kleckst nun einmal».
Zu gewinnen gibt es vier Preise – einen weniger als 2014 –, die am am 5. Juli vergeben werden: den Ingeborg-Bachmann-Preis in Höhe von 25'000 Euro, den mit 10'000 Euro dotierten Kelag-Preis, den Ernst-Willner-Preis in Höhe von 5000 Euro und den mit 7000 Euro verbundenen BKS-Bank-Publikumspreis.
Sendung: Kultur kompakt, 1.7.2015, 16:50 Uhr.