«Nick nicht ein im Zug Venedig–Wien. Slowenien ist so winzig, du könntest es verfehlen. Steh lieber auf, steck deinen Kopf aus dem Fenster. Lausch meiner goldenen Stimme!»
In diesem Gedicht bringt der 2014 verstorbene slowenische Dichter Tomaž Šalamun ironisch Sloweniens Los auf den Punkt. Es wird mit seinen nur zwei Millionen Einwohnerinnen und Einwohnern auf der europäischen Landkarte leicht übersehen.
Dichteste Dichtung
Zu Unrecht: Slowenien hat pittoreske Städte und eindrückliche Naturlandschaften zu bieten. Zudem verfügt es über eine überaus reiche Dichtung. Die literarische Pro-Kopf-Produktion ist wohl nirgends so hoch wie hier. Allein in der Hauptstadt Ljubljana erscheinen jedes Jahr 850 literarische Titel.
Lesen ist populär: In Slowenien ist jeder und jede Vierte Mitglied einer Bibliothek. Literaturfestivals erfreuen sich grossen Zulaufs. 2015 hat die Unesco Ljubljana wegen seines lebendigen literarischen Lebens als «Literaturstadt» ausgezeichnet.
Nahbare Literatur
Im kleinen Slowenien sei die Literatur eben «unausweichlich», sagt der slowenische Autor, Verleger und Übersetzer Aleš Šteger. «Das Lesen hat in den Schulen einen hohen Stellenwert.»
Auch würden die Menschen ihren Autorinnen und Autoren früher oder später über den Weg laufen. «Dies motiviert, zu deren Büchern zu greifen.»
Nation auf Literatur gebaut
Die Literatur war für Slowenien seit jeher von grosser Bedeutung. Bis zur Unabhängigkeit 1991 stand das Land stets unter Fremdherrschaft – Habsburgermonarchie, Königreich Jugoslawien, Besatzung durch die Achsenmächte, Tito-Jugoslawien.
Die Literatur hatte bei uns einen hohen Stellenwert. Und den hat sie bis heute behalten.
In den langen Jahrhunderten war die gemeinsame Sprache die einzige verbindende Klammer der slowenischen Nation. In der Hauptstadt Ljubljana thront als Denkmal auf dem zentralen Platz nicht etwa ein Feldherr oder Staatsmann, sondern der Dichter France Prešeren – der «Goethe Sloweniens». Er besang schon im 19. Jahrhundert die slowenische Nation.
Eine ähnliche Verehrung geniessen auch Autorenpersönlichkeiten wie der 1918 verstorbene Ivan Cankar. Oder – in jüngerer Zeit – Svetlana Makarovič. Beide setzten sich in ihrem literarischen Werk mit der slowenischen Identität auseinander.
«Die Literatur hatte bei uns einen hohen Stellenwert», sagt Aleš Šteger, «und den hat sie bis heute behalten.» Dies führe dazu, dass viele Menschen literarisch schreiben. Oder es zumindest versuchen.
Blüte dank Förderung
Der slowenischsprachige Sprachraum ist allerdings zu klein, als dass darin ein allein nach marktwirtschaftlichen Kriterien funktionierender Buchmarkt gedeihen könnte.
Die grosse Buchproduktion des Landes lässt sich laut der slowenischen Literaturkritikerin Tanja Petrič nur durch die grosszügigen staatlichen Subventionen erklären.
Die ausgebaute Literaturförderung habe allerdings auch einen Pferdefuss. «Bei der Menge, die wir produzieren, mangelt es manchmal an der sprachlichen und inhaltlichen Qualität.»
Promo dank der Buchmesse
Während der Frankfurter Buchmesse wartet Slowenien als Ehrengast mit rund 80 ausgewählten slowenischen Titeln auf, die erstmals auf Deutsch erscheinen. Der Auftritt vor dem internationalen Publikum sei eine «einmalige Chance», sagt Schriftsteller Aleš Šteger.
Und sei es nur, um dem restlichen Europa in Erinnerung zu rufen, «dass es überhaupt eine slowenische Sprache gibt, mit der sogar Bücher geschrieben werden».