SRF: Lukas Bärfuss, vor fast 40 Jahren sprachen Max Frisch und der damalige Bundesrat Kurt Furgler über das Verhältnis der Künstler zu Politik und Gesellschaft. Wie sieht deren Verhältnis heute aus?
Lukas Bärfuss: Es gibt nie genug Blumen für die Dichter, wie Muriel Pic gemeint hat. Abgesehen davon, geben sich die Dichter ihren Platz in der Gesellschaft nicht selbst.
Jeder, auch der Dichter, ist Kind seiner Zeit. Und das von Ihnen erwähnte Verhältnis ist bei jedem Dichter verschieden. Meine Situation lässt sich mit keiner anderen vergleichen.
Was gibt es noch zu dem Verhältnis zu sagen?
Dass es kaum im Singular auftaucht? Die Verhältnisse sind sehr verschieden, und sie verändern sich sehr schnell.
Was sagt der Umgang mit Dichtern über die Gesellschaft aus?
Es zeigt vor allem das utopische Potential einer Gesellschaft. Wie sehr eine Gesellschaft in Alternativen denken kann. Was könnte sein und warum ist es nicht? Dies ist die grosse Frage der Literatur.
Der Preis der Freiheit ist Unsicherheit.
Wie reagieren Dichter auf die Art der Besprechung?
Dichter sind, wie alle Künstler, durch ihre Ungebundenheit verletzlich und sehr exponiert. Wir haben keine Institution, die uns schützt. Der Preis der Freiheit ist Unsicherheit.
Was kann Kunst heute bewirken?
Definieren Sie Kunst, definieren Sie heute, definieren Sie bewirken! Kunst ist ein Abstraktum und in der Wirklichkeit nicht zu finden. Es gibt die Künstler und ihre Werke. Die Methoden sind kaum erweitert worden.
Fortschritt ist kein Begriff der Kunst. Eine interessante Frage könnte sein: In welcher Tradition stehen wir? Was hat uns zum Beispiel die Kunst der Ägypter heute zu sagen?
Auf Sie ganz persönlich bezogen: Stehen Sie morgens auf und überlegen, welches Verhältnis Sie heute zur Gesellschaft haben?
Selbstverständlich. Da geht es mir wie allen. Die Gesellschaft lässt mich schliesslich nicht in Ruhe. Ich treffe täglich auf Menschen, rede, begegne. Ich habe keine Wahl.
Meistens ist es ein Glück, oft gibt es Spannungen. Wenn man eine Parkbusse bekommt, es Probleme in der Schule gibt oder der Handwerker zu spät kommt, dann ist da Spannung. Bei jedem von uns.
Was immer ich von meinen Werken halte: Zufriedenheit ist mir noch nie begegnet.
Künstler nehmen für sich in Anspruch, Gesellschaft zu spiegeln, Fragen zu stellen, aber keine Antworten parat zu haben.
Wer hat schon eine Antwort auf die Frage nach dem «Warum»? Sicher, es gibt die literarische Spiegelung, aber daneben gibt es viele andere Sprechweisen: die Hymne, die Predigt, die Polemik, das Geplauder…
Und die Dichtung kennt nicht nur die Gesellschaft als Adressaten: Manchmal richtet sie sich an einen bestimmten Menschen, manchmal an sich selbst, manchmal an Gott oder das Universum.
Was ist Ihnen wichtig: Der Erfolg, den man hat oder das, was man selber von einem Werk hält?
Paul Nizon meinte einmal, Erfolg sei ihm ganz einerlei, er wolle Ruhm. Ruhm ist die unausgesetzte Erinnerung. Danach strebt jeder Künstler. Und was immer ich von meinen Werken halte: Zufriedenheit ist mir noch nie begegnet.
Frisch und Furgler kreisen längere Zeit um den Begriff Macht. Hat der Dichter, der Künstler Macht?
Nein, Dichter haben keine Macht. Im Gegensatz zu den Büchern. In ihnen liegt alles.
Das Gespräch führte Franz Kasperski.