Eugen Gomringer, Dichter und Begründer der Konkreten Poesie, wird 100 Jahre alt. Im Interview mit blickt er zurück – und voraus. Wir haben mit ihm über den Wert der Sprache gesprochen – und über das Geheimnis der Jugendlichkeit bis ins hohe Alter.
SRF: Eugen Gomringer, herzliche Gratulation zum 100. Geburtstag. Wie geht es Ihnen?
Eugen Gomringer: Gut, danke.
Sie sind für viele Zeitgenossen ein Phänomen: Bis ins hohe Alter sind Sie aktiv geblieben, mit Textbeiträgen, Ausstellungen, Vorträgen – und haben eine bemerkenswerte Vitalität ausgestrahlt. Wie haben Sie Ihre Jugendlichkeit bewahrt?
Durch Umstellungen. Immer wieder, wenn ich gemerkt habe, dass ich alt werde, habe ich mich jugendlich eingesetzt. Das ist eine Gabe. Man kommt damit auf die Welt. Es ist eine dankenswerte Schöpfung.
Wie sehr ist für Sie der 100. Geburtstag ein Moment, in dem Sie Rückschau halten?
Ich hätte fast noch ein neues Buch dazu angefangen, in dem ich vor allem Rückschau auf meine älteren Kollegen genommen hätte, an denen ich mich orientiert habe.
Dichter sollten etwas Bürgerliches haben. Dann wissen sie, wie es anderen geht.
Bei ihnen habe ich stets gute Ansätze für mich gefunden – und was ich anders machen wollte.
Wen meinen Sie mit «ältere Kollegen»?
Die Lyriker: Schiller, Hölderlin, den jungen Hesse …
Was ist das Wichtigste für Sie, wenn Sie auf Ihr bisheriges Leben blicken?
Dass ich mich stets umzustellen wusste. Immer wenn schwere Gedanken kamen, habe ich zwar sehr gelitten. Aber ich konnte mich durch andere Gedanken freimachen, indem ich verschiedene Berufe nebeneinander ausführte: Dichter, Verbandssekretär, Geschäftsführer.
Ich kann keine andere Sprache sprechen als die Konkrete Poesie.
Dichter sollten etwas Bürgerliches haben. Dann wissen sie, wie es anderen geht.
Sie haben als Schöpfer der Konkreten Poesie Literaturgeschichte geschrieben und dafür viel Anerkennung bekommen. Welche Bedeutung hat dies für Sie?
Das ist meine Sprache. Ich kann keine andere Sprache sprechen als die Konkrete Poesie. Sie ist der Ausdruck meiner Sprache.
Die Konkrete Poesie erhält sich bis heute – in der Literatur, der Werbung, den sozialen Medien. Erfüllt es Sie mit Stolz, etwas Bleibendes geschaffen zu haben?
Ja. Aber nicht alle Leute haben begriffen, was die Konkrete Poesie ist. Da war ich immer ein bisschen voraus.
Sie haben die Sprache selbst zum Thema gemacht. Das ist in Zeiten, wo Populisten wie Putin oder Trump die Sprache in Propaganda, Fakenews und Lügen verkehren, hochaktuell.
Das sind kluge Überlegungen. Man fragt sich, wofür die Sprache dienen soll. Das tun viele Leute nicht mehr. Dabei muss man sehr genau wissen, was man sagt. Wer dichtet, drückt Tiefe und Wahrheit aus. Darum geht es in der Poesie.
Beschäftigt Sie der Gedanke an den eigenen Tod?
Nein! Gar nicht. Ich weiss, dass ich immer weiterlebe! Von meiner Frau Nortrud, die vor vier Jahren verstorben ist, erfahre ich, dass es weitergeht.
Glauben Sie, dass Sie Ihre Frau noch einmal wiedersehen?
Ja, in einem Restaurant, wo man à la Carte speist. Vieles, was einem geschehen wird, weiss man eigentlich schon vorher. Aber man geht einfach nicht darauf ein, weil man nicht den Mut dazu hat. Aber das Leben ist auch eine mutige Sache! Es braucht im Leben Mut.
Woher bekommt man Mut?
Gutes Befinden, gute Gesundheit: Man muss immer gesund bleiben.
Da hatten Sie Glück.
Ja, ich war sehr gesund.
Was ist Ihr wichtigster Wunsch für die Zukunft?
Dass ich das Gleichgewicht im Leben halte. Dass ich die richtige Note finde, indem ich mich selbst befrage: Mache ich es richtig? Sich religiös zu befragen, ist richtig.
Wie alt werden Sie?
Ein oder zwei Dutzend Jahre noch! (lacht)
Das Gespräch führte Felix Münger.