Kinderbücher für Mädchen drehen sich oft um Prinzessinnen, Bücher für Jungen oft um Abenteuer und Piraten. Verlage gestalten Bücher für Kinder und Jugendliche absichtlich so, damit sie dem jeweiligen Geschlecht – vermeintlich – besonders gut gefallen.
Viele Bibliotheken übernehmen dieses Gender-Marketing und teilen Bücher entsprechend in Kategorien ein. Germanistin Milena Eberhard hat im Rahmen ihrer Masterarbeit untersucht, wie sich das auswirkt.
SRF: Für Ihre Studie haben Sie die Einteilung der Bücher in Geschlechterkategorien in der Bibliothek Uster abgeschafft. Was war das Ergebnis?
Milena Eberhard: Wenn Kinder und Jugendliche nicht wissen, für wen das Buch gedacht wäre, leihen sie öfter geschlechtsuntypische Bücher aus. Das Ergebnis war sehr eindeutig: Normalweise gibt es ungefähr zwei Prozent geschlechtsuntypische Ausleihen, das heisst, Mädchen leihen zu zwei Prozent mal ein Buch für Jungen aus. Ohne Kategorisierung waren wir bei 20 Prozent.
Die Bibliothek Uster hat mittlerweile die geschlechtsspezifische Einteilung der Kinderbücher abgeschafft. Wieso spielt diese Einteilung eine so grosse Rolle?
Ich glaube tatsächlich, dass der Geschlechterstempel eine grosse Hemmschwelle darstellt. Wenn der nicht draufklebt, entscheiden sich die Kinder viel stärker nach Cover oder nach Inhalt.
In der Forschung zeigt sich: Wenn die Geschichte spannend ist, ist es den Kindern und Jugendlichen egal, wer der Protagonist oder die Protagonistin ist. Es geht um den Inhalt.
Was ist der Grund dafür, dass Bücher überhaupt geschlechtsspezifisch vermarktet werden – und zwar auch von Bibliotheken?
Es geht darum, der Kundschaft eine Leitlinie zu geben. Es gibt auch Kategorien wie «Abenteuer» oder «Liebe», aber auch «Jungen» und «Mädchen». Dahinter steckt der Gedanke: «Du bist ein Mädchen, wir glauben, das interessiert dich».
Aufgrund der Pisa-Studie, die immer wieder zeigt, dass vor allem Jungen schlechter und weniger lesen, hat sich das Gender-Marketing stark eingeschaltet. Man hatte die Hoffnung, dass Jungen mehr lesen, wenn man für sie sehr stereotypisch männliche Bücher schreibt.
Wie wirkt sich dieses Gender-Marketing konkret aus?
Wenn man sich die Bücher der Kategorien «Mädchen» und «Jungen» genauer anschaut, fällt auf, dass sich die Geschichten bei den Mädchen oft um den Alltagshorizont dreht. Die Protagonistinnen erleben nicht so viel. Das haben schon andere grosse Studien ergeben.
Bei den Jungenbüchern hingegen gibt es Abenteuer, Drachen und starke Helden, die aber sehr stereotyp funktionieren.
In Mädchenbüchern kann man nicht so viel erleben wie in Jungenbüchern
Daraus könnte man schliessen: Wenn Kinder die ganze Zeit denken, «das ist für mich, das hat mich zu interessieren», sind sie mit starken Rollenklischees und Geschlechterstereotypen konfrontiert.
Dazu kommt, dass wir ihnen so eine andere Welt verschliessen, weil ein Mädchen nicht automatisch zu einem Jungenbuch greift, das als solches gelabelt wurde. Dabei weiss man, dass es gut wäre, wenn Kinder sich mit Inhalten auseinandersetzen, die sie nicht kennen und dass man sie durchaus ein bisschen irritieren darf in ihrer Lektüre. So begegnen sie anderen Realitäten.
Was erhoffen Sie sich von Ihrer Studie?
Etwas ganz Grosses ist schon passiert: Wir haben als Stadtbibliothek Uster reagiert und die Kategorien abgeschafft. Das hat mich sehr gefreut.
Jetzt müssen diese Ergebnisse einem breiteren Fachpublikum vorgestellt werden. Ich erhoffe mir, dass man im ersten Schritt in der Bibliothekswelt die Geschlechterkategorisierung hinterfragt, im besten Fall sogar abschafft.
Dann geht es weiter bei den Verlagen. Sie entscheiden über die Covergestaltung und darüber, wen sie primär ansprechen möchten. Literatur sollte geschrieben sein für die, die es interessiert, und nicht ein spezielles Geschlecht adressieren.
Das Gespräch führte Katharina Brierley.