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Magazin für Fan-Fiction Fans fantasieren von Zombieromanzen und Sex im Bundeshaus

Fans spinnen ihre Lieblingsgeschichten weiter: Das neue Magazin «DANKE» widmet sich dem verrücktesten literarischen Genre.

Sind Sie Fan? Von einem Fussballspieler vielleicht, von einer Musikband oder einem ganz bestimmten Roman? Wie weit geht diese Leidenschaft? Manche Fans sind von einem Film, Buch oder einer Figur so begeistert, dass sie sich dazu eigene Geschichten ausdenken und aufschreiben.

Die sogenannte Fan-Fiction basiert oft auf literarischen Werken. Harry-Potter-Fans erfinden zum Beispiel neue Abenteuer, die sich in der Zaubereischule «Hogwarts» abspielen. Und schon vor über hundert Jahren haben zahlreiche Lesebegeisterte Karl Mays Geschichten von Winnetou und Old Shatterhand nachgeahmt und fortgesetzt.

Profis lernen von Laien

Geteilt und gelesen werden solche Fan-Texte heute in aller Regel in Online-Foren. Warum aber nicht auch abdrucken? Das dachten sich die Herausgebenden der neuen Fan-Fiction-Zeitschrift «DANKE» rund um Mitherausgeber Lucien Haug.


«Es geht vor allem darum, die Fan-Fiction in den etablierten Literaturbetrieb zu tragen», erklärt Haug. «Wir wollen Autorinnen und Autoren dazu anregen, sich der Technik der Fans zu bedienen.»

Fan-Fiction-Werke gelten als Laien-Texte. In der ersten Ausgabe des Magazins «DANKE» sind es nun professionelle Schreibende, die eingeladen wurden, ihre Fan-Fiction zu verfassen.

Fan von einem Bundesrat

Die Autorinnen und Autoren im Magazin loten die Grenzen der Fan-Fiction aus. Wo das Fansein beginnt und die einfache Inspiration aufhört, ist nicht ganz klar. Etwa, wenn der Schriftsteller und Journalist Evan Tepest für seine Fan-Fiction einen kulturkritischen Essay heranzieht.

Berühmte Fan-Fiction

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  • Winnetou und Old Shatterhand
    1895 erhielt Karl May einen Brief von Wilhelm Matthäi. Der begeisterte Leser bittet May, eine eigene Geschichte mit Winnetou und Old Shatterhand schreiben und veröffentlichen zu dürfen. May gab sein Einverständnis, bat aber darum, «mich von den feindlichen Indianern nicht ermorden zu lassen, denn alle meine Leser wissen, dass ich noch lebe.» Karl May gab seinem Publikum gegenüber stets vor, dass er selbst Old Shatterhand sei.
  • «Stolz und Vorurteil»
    2009 stand ein Fan-Fiction-Roman, in dem Elizabeth Bennet und ihre Schwestern aus «Stolz und Vorurteil» gegen eine Zombie-Bedrohung kämpfen, auf Platz drei der Bestsellerliste der New York Times. 2016 kam «Stolz und Vorurteil und Zombies» als Horrorfilm mit romantischen Elementen ins Kino.
  • Sherlock Holmes
    In den 1930er-Jahren schlossen sich die ersten Fans von Arthur Conan Doyles Meisterdetektiv zusammen, um sich neue Fälle auszudenken. So erfahren wir bis heute neue Details über die Figur: Zum Beispiel, dass Sherlock Holmes gerne Erdbeermarmelade isst und sein Gehilfe Doktor Watson oft rote Unterhosen trägt.
  • «Star Trek»
    Besonders populär wurde Fan-Fiction ab den späten 1960er-Jahren durch «Star Trek». Die Science-Fiction-Serie bot viele Anknüpfungspunkte, weil sie für die damalige Zeit sehr liberal war. «Star Trek» war die erste Fernsehproduktion, in der eine schwarze Frau einen weissen Mann küsste. Ab 1975 tauchte in der Fangemeinde der Serie sogenannte Slash-Fan-Fiction auf: Erzählungen, in welchen die sexuelle Beziehung zwischen zwei gleichgeschlechtlichen Figuren im Mittelpunkt steht, in diesem Fall Captain Kirk und Spock.
  • Harry Potter
    Mit Themen wie Mobbing, Einsamkeit und Erwachsenwerden kann sich die oft junge Community besonders gut identifizieren. Die Harry-Potter-Erfinderin Joanne K. Rowling tritt regelmässig in Kontakt mit der Fangemeinde und entscheidet sehr selektiv, welche Deutungsansätze sie unterstützt und welche nicht. Ihre Ablehnung von Trans-Figuren hat zu einer Kluft zwischen der Autorin und manchen ihrer Fans geführt.
  • Odyssee und Ilias
    Es gibt keine eindeutige Definition von Fan-Fiction. Darum können ihre Ursprünge – je nach Sichtweise – bis zum Beginn der abendländischen Literatur zurückverfolgt werden. Immerhin wurde die «Odyssee» oder die «Ilias» von Homer immer wieder neu erzählt oder in Theaterstücken verarbeitet. Ob es ich dabei wirklich um Fan-Fiction handelt, ist umstritten.

Bei der Schweizer Bloggerin Jessica Jurassica stellt sich die Frage, ob sie nun eher Fan eines Bundesrates oder von erotischen Kioskromanen ist, wenn sie über eine leidenschaftliche Affäre eines Gesundheitsministers mit Namen André Béret schreibt. Unterhaltsam ist die frivole Liebesgeschichte allemal.

Etwas näher dran am herkömmlichen Verständnis von Fan-Fiction ist der Beitrag von Berit Glanz, die aus Selma Lagerlöfs «Nils Holgersson» ein modernes Roadmovie gemacht hat. Andere Texte in der Zeitschrift «DANKE» sind angelehnt am Pokémon-Universum oder den Science-Fiction-Geschichten rund um den Romanhelden Perry Rhodan.

Die Ausgangstexte muss man beim Lesen der Fan-Fiction-Beiträge nicht kennen. «Jeder Text im Magazin ist zugleich ein Lesetipp», sagt Lucien Haug. «Wer die Quellentexte kennt, wird sie danach nie mehr gleich lesen.»

Was wurde eigentlich aus Heidi?

Die Herausgebenden von «DANKE» wollen aber nicht nur zum Lesen, sondern auch zum Selbstschreiben anspornen. In der ersten Ausgabe des Magazins haben sie darum einen Aufruf gestartet und laden alle dazu ein, eine eigene Fan-Fiction ausgehend von Johanna Spyris «Heidi» zu schreiben und an die Redaktion zu schicken.

Magazin-Hinweis

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Lucien Haug, Marion Regenscheit, Richard Stoiber u.a. (Hrsg.): «DANKE. Das Fan-Fiction-Magazin». 136 Seiten. März Verlag, 2024.

Die zweite Ausgabe von «DANKE» erscheint im Verlauf des Jahres 2025. Die weiteren Ausgaben folgen alle sechs Monate.

Lucien Haug gibt schon mal ein bisschen Inspirationen: «Vielleicht wollte man ja schon immer wissen, was Heidi beruflich gemacht hat, warum Tante Dete so eine unleidliche Person ist oder erzählen, dass Heidis Freundin Klara in Wahrheit eine Zeitreisende war.» Eingereichte Heidi-Fan-Fiction wird in der zweiten Ausgabe von «DANKE» abgedruckt.

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