«Ein bisschen schlechter» – der Titel des neuen Essaybands von Michel Houellebecq bezieht sich auf die Corona-Pandemie. Der Autor schreibt dazu: «Wir werden nach der Ausgangssperre nicht in einer neuen Welt aufwachen; es wird dieselbe sein, nur ein bisschen schlechter.»
Ein Houellebecq ganz wie üblich
Sicherlich ist das Buch weit entfernt, «ein bisschen schlechter» zu sein als seine beiden Vorgänger. Man hat das Gefühl, auch in diesen Essays dem «wahren» Houellebecq zu begegnen: seinen Gedanken und Standpunkten, seinen Argumentationslinien und Geisteswelten, die ihn geprägt haben. Wie üblich überzeichnet, provokativ und mit viel aggressivem Humor.
Wobei man Houellebecq nie Eins zu eins nehmen darf: Aus Kalkül schwimmt er gerne gegen den Strom, um in den vehementen Reaktionen darauf Risse in der Gesellschaft aufzuzeigen.
Gott und Trump im Fokus
Houellebecqs Essayband umfasst 11 Beiträge, die in Form und Inhalt nicht unterschiedlicher sein könnten. Erstaunlicherweise kristallisieren sich dennoch Schwerpunkte heraus: Religion zum Beispiel oder Donald Trump.
So nimmt er im Essay «Donald Trump ist ein guter Präsident» persönlich Anteil an der Scham vieler, von einem «haarsträubenden Clown» regiert zu werden. Ein echter christlicher Konservativer wäre dem Autor lieber gewesen.
Gedanken gegen den Strom
Gleichwohl fordert Houellebecq seine Leserschaft auf, die Wahl Donald Trumps aus einer anderen Perspektive zu betrachten. Trump führe Obamas Politik des Rückzugs verstärkt weiter und läute damit das Ende des amerikanischen Imperialismus ein. Das sei zu begrüssen: «Die Amerikaner lassen uns in Frieden.»
Zudem vertrete Trump die Interessen der Arbeiter, halte nichts von der EU und unterstütze den Brexit, so wie Houellebecq selbst. Und für Freihandel sei Trump löblicherweise nur, wenn es seinem Land Vorteile bringen würde.
Houellebecq hat mit seinen Pro-Trump-Aussagen bereits Ende 2018 für Aufregung gesorgt. Sein Essay erschien damals in der amerikanischen Zeitschrift «Harper's Magazine» – kurz vor Publikation seines Romans «Serotonin». Auch etwas PR also.
Ein katholischer Zweifler
Kommen wir zum nächsten Themenfeld: Religiöse Fragestellungen ziehen sich wie ein roter Faden durch Houellebecqs Essayband. Der Autor verrät, dass er katholisch in dem Sinne sei, dass er dem Schrecken einer Welt ohne Gott Ausdruck verleihe.
Auch schildert er, wie er sich schon als Kind mit metaphysischen Fragestellungen beschäftigt habe. «Gibt es jemand, der das Universum erschaffen hat? Hatte die Zeit einen Anfang? Wird sie ein Ende haben?», fragt sich der 9-Jährige, der sich dann als Teenager dem grossen französischen Denker Blaise Pascal zuwendet.
Pascals tiefschürfende «Gedanken über die Religion» haben Houellebecq schockiert und zugleich inspiriert. Schilderungen der Macht des Todes und der Leere, mit solcher Wucht, die beispiellos in der Literatur seien.
Und obschon sich Houellebecq mit solchen Ausführungen gerne als Selbstdarsteller zeigt, ist sein neuer Essayband «Ein bisschen schlechter» eine lohnende, weil anregende Lektüre.