Charles Lewinsky ist ein Alleskönner: Einst schrieb er eine Episode der Erfolgsserie «Traumschiff» und war Ghostwriter des Showmasters Harald Juhnke.
Mit der Sitcom «Fascht e Familie» wurde Lewinsky zum Schweizer Volksgut. Die Serie schauten einst mehr Leute als das Endspiel der Fussball-WM. Später hat Lewinsky mit «Melnitz» einen der bedeutendsten Romane der jüngeren Schweizer Literatur geschrieben.
Es gibt nur ein Genre, an dem sich Lewinsky noch nie versucht hat: Pornografie. Er meidet sie, wie er sagt, weil die Recherche zu anstrengend wäre.
Perfider Witwenschüttler
Dafür erscheint nun mit «Der Stotterer» ein neuer Roman. Der Titelheld ist ebenfalls ein Alleskönner, zumindest was das Schreiben angeht: Weil er stottert, drückt er sich vor allem schriftlich aus, und das äusserst virtuos.
Er will auch Kohle machen mit dem Schreiben. Dafür ist ihm jedes Mittel recht, auch jedes illegale Mittel. So schmeichelt er sich mit Briefen bei reichen Witwen ein, die er zuvor ausgehorcht hat.
Ihnen präsentiert er sich als verschollener Enkel. Alles mit dem Ziel, die alten Damen um ihr Vermögen zu bringen. Ein perfider Witwenschüttler. Schliesslich aber fällt er seinerseits auf einen Brief rein – verfasst von der Polizei.
Der Stotterer wandert in den Knast. Dort fällt sein Schreibtalent einem Gefängnispfarrer auf, der ihn ermuntert, seine und andere Geschichten zu Papier zu bringen.
Meditation über die Macht des Schreibens
Charles Lewinsky ist ein moderner Schelmenroman mit Tiefgang gelungen. Eine Meditation über die Macht des Schreibens.
Normalerweise schreiben Autoren eher über die Macht von anderen, von Ideologen oder Politikern. Lewinsky aber interessiert sich für die Macht des geschriebenen Wortes, auch die Macht der Literatur. Wahrheit und Lüge vermischen sich hemmungslos im Schreiben seines Helden.
Manchmal muss man unweigerlich an Vorbilder aus der Gegenwart denken, zum Beispiel an die Fälschungen des deutschen «Spiegel»-Journalisten Claas Relotius, der sich seine Geschichte zusammenschwindelte und dafür die namhaftesten Journalistenpreise erhalten hat.
Die Wahrheit als Sicherheitsgurt
Auch Lewinskys Held versteht es, perfekt zu lügen. Für ihn ist die Wahrheit lediglich «ein Sicherheitsgurt für Leute, die keine Phantasie haben».
Noch immer wird Charles Lewinsky von Teilen des Literaturbetriebs unterschätzt. Als könne einer, der fürs Fernsehen oder für Volksmusiker textet, nicht ganz ernst genommen werden.
Darum hat er in der Schweiz bis jetzt kaum eine namhafte Literaturauszeichnung erhalten, obwohl er selbst über komplexe Themen anschaulich, pointiert und also äusserst vergnüglich schreiben kann.
Er regt seine Leser immer zum Mitdenken an. Das beweist er im neuen Roman «Der Stotterer» einmal mehr virtuos.