Schon mit der Aufmachung des Romans zeigt Wolf Haas, dass es sich um ein persönliches Bündel handelt: braunes Packpapier als Bucheinband, darauf ein Stempel mit roter Schrift «Eigentum von Wolf Haas».
Wie wenn er hier etwas verpackt hätte, das er jetzt nicht mehr braucht – und das er aber auch nicht einfach weggeben will.
Es beginnt mit einem Hof mit Kuh
In seinem neuen Roman erzählt Wolf Haas von seiner Mutter, Marianne Haas. Sie ist 95 und liegt im Altersheim, wo sie auf den nahen Tod wartet. Er erzählt auch von sich selbst, wie er seine Mutter beim Sterben begleitet und gleichzeitig eine Poetikvorlesung schreiben soll, von der er aber noch nichts anderes zustande gekriegt hat ausser dem Titel. Der ist allerdings genial. «Kann man vom Leben schreiben?», heisst er. Und das tut er: Er schreibt vom Leben und denkt gleichzeitig darüber nach, wie das geht.
Die Mutter wird 1923 geboren. Mitten in der grossen Inflation. Ihr Vater hat damals sein «Lechn» verkauft, sein «Leihen», wie das wohl auf Deutsch heisst, einen Kleinbauernhof mit einer Kuh drauf.
Er hatte von einem anderen, etwas grösseren «Lechn» gehört, günstig und mit zwei Kühen drauf. Doch bevor er das neue Lechn kaufen kann, ist die Inflation da und das ganze Geld ist weg. Der Grossvater muss sich fortan als Knecht verdingen.
Immer kurz davor
Diese Geschichte hängt an der Mutter wie ein Fluch. Sie wird ihr ganzes weiteres Leben davon bestimmen lassen. Nie wird sie sich eigenen Grund kaufen können, nie wird sie Eigentum haben. Hat sie zum Beispiel 10'000 Schilling für ein Stück Land zusammengespart, kostet es auf einmal 20'000. Hat sie dann die 20'000 Schilling zusammen, kostet es 40'000.
Es ist wie in der Inflation. Oder wie bei der Geschichte mit dem Hasen und dem Igel. Nie kommt man ans Ziel. Immer ist schon einer da. Und so bleibt der Mutter nichts anderes übrig als zu arbeiten und weiter zu sparen. Oder wie sie es nennt: «Nichts wie arbeiten, arbeiten, arbeiten.»
Dreimal hält besser
Damit sind wir bei der Sprache, die bei Wolf Haas immer eine besondere Bedeutung hat. Mündlich ist sie, musikalisch, aber nie nur Dialekt. Und immer ist es eine Kunstsprache, die den Plot ergänzt, oder – man könnte es auch so sagen – zum Plot wird.
Im neuen Roman ist es die «rhetorische Trias», wie Wolf Haas das nennt, was den Sound des Buches ausmacht. Dieses Immer-alles-dreimal-sagen-müssen. Oder dieses Immer-alles-mit-drei-Wörtern-beschreiben-wollen.
Das überträgt sich auf den Sohn. Redet die Mutter davon, dass ihr Leben nichts wie arbeiten, arbeiten, arbeiten ist, so ist es beim Sohn, der gerade mit seiner Poetikvorlesung beschäftigt ist, nichts wie schreiben, schreiben, schreiben.
Schmökern im Eigentum
Das ist Witz. Und es geht auch nicht darum, sich über Floskeln oder Dialektformen lustig zu machen. Die vielen Wiederholungen, die diesen Text ausmachen, sind wohl eher die eigentliche Aufarbeitung der Geschichte der Mutter, respektive die Geschichte mit der Mutter. Wolf Haas bannt sie mit dem Ritual der Wiederholung. Damit er sie loslassen kann.
Am Schluss ist die Mutter am Ziel. Nach ihrem Tod hat sie ihr Eigentum: zwei Quadratmeter auf dem Dorffriedhof. Angeschrieben mit ihrem Namen, mit einem kleinen Garten und einem Mäuerchen drumherum.
Die ganze Geschichte aber ist das «Eigentum von Wolf Haas», das er uns freundlicherweise und für die Dauer des Lesens seines Buches zur Verfügung stellt.