Nobelpreis 2024 - Überraschend: Südkoreanerin Han Kang erhält Literaturnobelpreis
Zum ersten Mal geht der renommierteste Literaturpreis der Welt nach Südkorea. Han Kang wird für ihre «intensive poetische Prosa» ausgezeichnet und für ihre literarische Aufarbeitung eines historischen Traumas.
Han Kang sass grade mit ihrem Sohn beim Abendessen, als das Telefon bei ihr klingelte. «Sie war nicht darauf vorbereitet», sagte der Sprecher der Schwedischen Akademie Mats Malm, «aber wir haben bereits begonnen, über die Vorbereitungen für Dezember zu sprechen». Dann wird Han Kang der Nobelpreis verliehen.
Han Kang ist die erste Südkoreanerin, die mit dem Nobelpreis für Literatur ausgezeichnet wird. Die Akademie in Stockholm ehrt die Autorin «für ihre intensive poetische Prosa, die sich historischen Traumata stellt und die Zerbrechlichkeit des menschlichen Lebens offenlegt».
Das kollektive Trauma ist prägend
Han Kang kam 1970 in Gwangju zur Welt. Die Stadt ging durch einen Studentenaufstand 1980 gegen die Militärregierung in die Geschichte ein. Die brutale Unterdrückung der Demokratiebewegung in ihrer Heimat prägte auch ihr literarisches Schaffen. Ihr Roman «Menschenwerk» ist der Versuch einer Bewältigung dieses Massakers und seinen Folgen.
Bevor Han Kang ihre ersten Romane schrieb, veröffentlichte sie ab 1993 Gedichte und Erzählungen. Trauer, Gewalt und die Kritik am Patriarchat, aber auch das Zarte im Menschen sind Themen, die sich durch Hans literarisches Werk ziehen.
Menschsein radikal verweigern
Im deutschsprachigen Raum war die Südkoreanerin lange Zeit eine unbekannte Autorin. Das änderte sich schlagartig, als 2016 ihr Buch «Die Vegetarierin» auf Deutsch erschien und für den sie den renommierten «Man Booker International Prize» erhielt.
«Die Vegetarierin» erzählt von einer Hausfrau, die in ihrem Verzicht auf Fleisch bis zum Äussersten geht und eine Pflanze werden will. Mit der existenziellen Verweigerung ihrer Protagonistin verdeutlicht Han Kang das Leiden weiblicher Körper im Patriarchat.
Literatur gegen Gewalt
Han Kangs Literatur stellt sich gegen jede Form der Brutalität. Ihre Texte sind starke Botschaften für eine gewaltfreie menschliche Existenz. Ihre Sprache ist ruhig und feingliedrig – und damit umso eindringlicher.
Drei Leseempfehlungen
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«Die Vegetarierin»:
Die Geschichte einer jungen Frau, die über Nacht beschliesst, auf Fleisch zu verzichten. Die zuweilen gewaltvollen Reaktionen, die die Entscheidung bei den männlichen Familienmitgliedern in der weiteren Erzählung auslösen, problematisieren den weiblichen Körper als prekären Ort, der niemals ganz seiner Besitzerin gehört. Der Reiz von diesem Roman liegt im Verstörenden, darin wie er uns mit eindringlichen Szenen aufwühlt und irritiert und später mit seiner poetischen Schönheit fesselt.
«Deine kalten Hände»:
Als der Bildhauer Jang Unhyong eines Tages spurlos verschwindet, hinterlässt er eine Unmenge an Gipsabdrücken von Frauenhänden, zum Teil auch Ganzkörperabgüsse. Viele davon sind das Negativ einer Studentin, L., einer übergewichtigen jungen Frau, die ihr Leben lang mit einer Essstörung zu kämpfen hatte. Das Buch erzählt die Spannung zwischen Innen und Aussen, zwischen Kern und Hülle, zwischen Sein und Schein, reflektiert aber auch das uralte Verhältnis des männlichen Schöpfers und der weiblichen Muse.
«Weiss»:
Ein Langgedicht, das man im tiefsten Winter lesen muss. Das Buch erzählt von weissen Dingen – das Weiss des Schnees, das Weiss einer Windel, das Weiss der Muttermilch. Hinter diesen Gegenständen schimmert eine (autobiographisch verbürgte) Erinnerung der Erzählerin auf, die vor ihrer Zeit liegt: die Erinnerung an ihre ältere Schwester, die als Neugeborene in den Armen ihrer Mutter starb. Die lyrischen Texte ringen mit dieser stillen Tragödie, die das Leben der Familie geprägt hat und sich der Erzählerin im Weiss bestimmter Gegenstände aufdrängen.
(Salomé Meier, Literaturwissenschaftlerin und Podcasterin)
Leise und ruhig spricht auch die Autorin selbst. In ihren Interviews erzählt sie immer wieder davon, wie erschüttert sie ist von menschlicher Gewalt und wie zerbrechlich die menschliche Würde ist.
Kang zählte nicht zu den Favoriten
In ihrer Haltung ist Han Kang radikal und in der Würdigung lobte die Akademie in Stockholm die Autorin auch als «Erneuerin der zeitgenössischen Prosa». Ihre Wahl ist aber eine Überraschung, denn Han Kang ist eine vergleichsweise junge Autorin mit einem eher schmalen Werk.
Umso grösser wird das öffentliche Interesse an Han Kangs zukünftigen Werken sein. Ein neuer Roman soll schon im nächsten Jahr erscheinen – nach der Entscheidung der Akademie mit Sicherheit auch in der deutschen Übersetzung.
Vergabe der Preise nach Alfred Nobels letztem Willen
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Die Nobelpreise sollen laut Nobels Testament diejenigen ehren, die der Menschheit in den einzelnen Kategorien im vorangegangenen Jahr den grössten Nutzen erwiesen haben. Sie können dabei an eine Einzelpreisträgerin beziehungsweise einen Einzelpreisträger oder bis zu drei Gewählte gleichzeitig gehen. Gerade in den Wissenschaftskategorien kommt es häufig vor, dass mehrere Preisträgerinnen und Preisträger gemeinsam geehrt werden, die zum Beispiel zum selben Themenfeld geforscht haben.
Feierlich überreicht werden alle Nobelpreise traditionell an Nobels Todestag am 10. Dezember. Dotiert sind die Auszeichnungen in diesem Jahr erneut mit elf Millionen schwedischen Kronen (rund 910'000 Schweizer Franken) pro Kategorie. Teilen sich zwei Personen die Ehrung, wird dieses Preisgeld unter ihnen aufgeteilt.
Sendehinweis
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Die Sendung Kultur-Talk auf Radio SRF2 Kultur widmet sich am 11. Oktober um 09:00 Uhr und 18:30 Uhr ausführlich der Nobelpreisträgerin Han Kang.
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