Um den Scheiss in ihrem Leben zu vergessen, hauen sie sich Speed, Vodka mit Ecstasy, Ketamin oder LSD rein. Sie wohnen im Osloer Sozialbau, hängen aber öfter in Dönerbuden ab. Sie flüchten vor der Polizei und geraten in Schiessereien. Ihre Mütter sind überfordert, die Väter Schläger oder abwesend. Das ist das Leben der vier Freunde Ivor, Marco, Arjan und Jonas.
Sie gehören zu jenen Teenagern, über die man eher in Reportagen aus Brennpunktvierteln liest als in der Literatur. Im Roman «bruder, wenn wir nicht family sind, wer dann» erhalten sie eine Stimme. In einer Sprache, die es in sich hat.
Sprachrausch
Die Jungs «droppen molly», sie haben «beef mit tisharen», chillen bei «kapitalchayas» und werden von «khanziren geraidet». Dieser Roman quillt über von Jugend- und Drogenslang, vermischt mit Versatzstücken aus dem Kroatischen, Norwegischen oder Somali.
Es braucht ein wenig Aufwärmzeit, um sich da zurechtzufinden. Lesen ist halt nicht immer Wohlfühlkomfort. Das Glossar am Buchende und die eine oder andere Internet-Recherche helfen aber bei Verständigungshürden. Der Aufwand lohnt sich und plötzlich ist man mittendrin im Sprachrausch der Kleingangster-Poesie.
Oliver Lovrenski hat den Roman teilweise auf dem Handy geschrieben. So schauts auch aus: Es ist eine Ansammlung kurzer Gedankenströme des Ich-Erzählers Ivor. Konsequent kleingeschrieben, ohne Punkte und mit eigenwilliger Kommasetzung.
Rap-Slang in Romanform
Einige Abschnitte sind nur zwei oder drei Sätze lang und hauen dann umso heftiger rein: «marco ruft an, mitten in der nacht, er weint, er ist tot ivor, und ich brauche gar nicht zu hören, wen er meint, ich weiss es schon, lege einfach auf». Zwischen den kurzen Absätzen bleibt viel weisses Papier; Lücken, die den nächsten Drogenrausch erahnen lassen.
Den Sound dieses Romans – irgendwo zwischen Rapmusik und Kurznachricht-Lyrik – hat Karoline Hippe grandios ins Deutsche übertragen. Für die Übersetzung liess sie sich Screenshots aus Drogenchats zuschicken und suchte Inspiration in der deutschen Jugendsprache.
Dass das übermorgen schon wieder veraltet sein könnte, spielt gar keine so grosse Rolle. Viel wichtiger ist die Ambivalenz zwischen der derben Sprache und der Verletzlichkeit der vier Jungs.
Als «plugs» steigen sie auf im Drogenmilieu und verticken im grossen Stil. Dazwischen essen sie Waffeln und spielen Kniffel bei Jonas' Oma. Sie stechen andere mit dem Messer ab und trösten sich zärtlich bei Liebeskummer. Sie fallen ins Drogendelirium und träumen vom bürgerlichen Leben, wie es die «kartoffeln» in den bessern Vierteln leben.
Wo bleibt die «street credibility»?
Lovrenski habe über Oslo schreiben wollen, wie er es kenne. Von den Problemen und mit der Sprache dieser Jugend. Autobiografisch ist der Roman aber nicht. Wie sein Ich-Erzähler hat zwar auch Lovrenski kroatische Wurzeln. Der Sohn des norwegischen Poeten Håvard Rem wuchs aber keineswegs im Problemviertel auf.
Im Netz wurde bereits über Lovrenskis «street credibility», also seine Glaubwürdigkeit, gestritten. Weder für die Qualität des Buches, noch für seinen Erfolg spielt das eine Rolle. In Norwegen erhielt der Roman wichtige Preise. Eine Theateradaption wird derzeit gespielt, eine TV-Serie ist in Planung. In 15 Sprachen ist der Roman schon übersetzt worden. Läuft also, wallah!