Zum Inhalt springen

Norwegischer Gangsterroman Mit der Sprache der Strasse nach ganz oben

Mit gerade einmal 19 hat es Oliver Lovrenski auf Platz eins der norwegischen Bestsellerliste geschafft. Sein Romandebüt von 2023 «bruder, wenn wir nicht family sind, wer dann» liegt jetzt auch auf Deutsch vor.

Um den Scheiss in ihrem Leben zu vergessen, hauen sie sich Speed, Vodka mit Ecstasy, Ketamin oder LSD rein. Sie wohnen im Osloer Sozialbau, hängen aber öfter in Dönerbuden ab. Sie flüchten vor der Polizei und geraten in Schiessereien. Ihre Mütter sind überfordert, die Väter Schläger oder abwesend. Das ist das Leben der vier Freunde Ivor, Marco, Arjan und Jonas.

Sie gehören zu jenen Teenagern, über die man eher in Reportagen aus Brennpunktvierteln liest als in der Literatur. Im Roman «bruder, wenn wir nicht family sind, wer dann» erhalten sie eine Stimme. In einer Sprache, die es in sich hat.

Sprachrausch

Die Jungs «droppen molly», sie haben «beef mit tisharen», chillen bei «kapitalchayas» und werden von «khanziren geraidet». Dieser Roman quillt über von Jugend- und Drogenslang, vermischt mit Versatzstücken aus dem Kroatischen, Norwegischen oder Somali.

Mann im schwarzen Anzug lehnt an einer Mauer.
Legende: Oliver Lovrenski wuchs in Oslo als Sohn einer Kroatin und eines Norwegers auf. Sein erster Roman, den er teilweise auf dem Handy schrieb, stand monatelang auf der Bestsellerliste. IMAGO/TT

Es braucht ein wenig Aufwärmzeit, um sich da zurechtzufinden. Lesen ist halt nicht immer Wohlfühlkomfort. Das Glossar am Buchende und die eine oder andere Internet-Recherche helfen aber bei Verständigungshürden. Der Aufwand lohnt sich und plötzlich ist man mittendrin im Sprachrausch der Kleingangster-Poesie.

Kleines «Strassen-Glossar»

Box aufklappen Box zuklappen

Beef Streit

Chaya (attraktive) Frau (Persisch)

Kapitalchaya (attraktive) Frau aus wohlhabender Familie

Bastoolada Knarre

g GHB / Liquid Ecstasy

Khanzir (Bullen-)Schwein (Arabisch)

Molly Ecstasy/MDMA

Pappe Acid/LSD

Para Geld (Türkisch)

Plug Dealerin/Dealer

raiden überfallen

Silah Knarre

Tishar Wichser

wallah ich schwöre (Arabisch)

Oliver Lovrenski hat den Roman teilweise auf dem Handy geschrieben. So schauts auch aus: Es ist eine Ansammlung kurzer Gedankenströme des Ich-Erzählers Ivor. Konsequent kleingeschrieben, ohne Punkte und mit eigenwilliger Kommasetzung.

Rap-Slang in Romanform

Einige Abschnitte sind nur zwei oder drei Sätze lang und hauen dann umso heftiger rein: «marco ruft an, mitten in der nacht, er weint, er ist tot ivor, und ich brauche gar nicht zu hören, wen er meint, ich weiss es schon, lege einfach auf». Zwischen den kurzen Absätzen bleibt viel weisses Papier; Lücken, die den nächsten Drogenrausch erahnen lassen.

Den Sound dieses Romans – irgendwo zwischen Rapmusik und Kurznachricht-Lyrik – hat Karoline Hippe grandios ins Deutsche übertragen. Für die Übersetzung liess sie sich Screenshots aus Drogenchats zuschicken und suchte Inspiration in der deutschen Jugendsprache.

Nahaufnahme Hand hält kleines Päckchen mit weissem Pulver.
Legende: Lovrenskis Romandebüt erzählt von alltäglichen Eskapaden im Osloer Drogenmilieu imago images/Dreamstime

Dass das übermorgen schon wieder veraltet sein könnte, spielt gar keine so grosse Rolle. Viel wichtiger ist die Ambivalenz zwischen der derben Sprache und der Verletzlichkeit der vier Jungs.

Buchhinweis

Box aufklappen Box zuklappen

Oliver Lovrenski: «bruder, wenn wir nicht family sind, wer dann». Hanser, 2025. Aus dem Norwegischen übersetzt von Karoline Hippe.

Als «plugs» steigen sie auf im Drogenmilieu und verticken im grossen Stil. Dazwischen essen sie Waffeln und spielen Kniffel bei Jonas' Oma. Sie stechen andere mit dem Messer ab und trösten sich zärtlich bei Liebeskummer. Sie fallen ins Drogendelirium und träumen vom bürgerlichen Leben, wie es die «kartoffeln» in den bessern Vierteln leben.

Wo bleibt die «street credibility»?

Lovrenski habe über Oslo schreiben wollen, wie er es kenne. Von den Problemen und mit der Sprache dieser Jugend. Autobiografisch ist der Roman aber nicht. Wie sein Ich-Erzähler hat zwar auch Lovrenski kroatische Wurzeln. Der Sohn des norwegischen Poeten Håvard Rem wuchs aber keineswegs im Problemviertel auf.

Im Netz wurde bereits über Lovrenskis «street credibility», also seine Glaubwürdigkeit, gestritten. Weder für die Qualität des Buches, noch für seinen Erfolg spielt das eine Rolle. In Norwegen erhielt der Roman wichtige Preise. Eine Theateradaption wird derzeit gespielt, eine TV-Serie ist in Planung. In 15 Sprachen ist der Roman schon übersetzt worden. Läuft also, wallah!

Wöchentlich frischer Lesestoff im Literatur-Newsletter

Box aufklappen Box zuklappen

Der Literatur-Newsletter bietet die perfekte Inspiration für das nächste Buch. Ausserdem wird jede Woche eine Schweizer Schriftstellerin oder ein Schweizer Schriftsteller in den Fokus gerückt. Newsletter jetzt abonnieren.

Radio SRF 2 Kultur, Kultur-Aktualität, 26.3.2025, 17:10 Uhr

Meistgelesene Artikel