Alt? Es schwebt ein Hauch von Entrüstung in der Frage. Was von aussen selbstverständlich scheint, ist für die meisten Menschen unbegreiflich: das eigene Alter.
Franz Hohler befasst sich in seinem neuen Gedichtband mit dieser Unbegreiflichkeit. Er legt die Ambivalenzen offen, welche die Auseinandersetzung mit der eigenen Sterblichkeit bereithält.
Den Tod beobachten
Für Hohler ist es eine Konfrontation mit offenem Visier. Dennoch erfüllt sie ihn mit einer frisch gewonnen Lebenslust – ja gar einer «Lebenssucht».
Hohler schreibt über seine Erfahrungen des Altwerdens in berührender Verletzlichkeit. Er beobachtet – um Fassung ringend –, wie der Tod immer öfter als Vorbote in sein Leben tritt.
Mensch vs. Sparlampe
Das klingt nach einer ordentlichen Portion Melancholie – und es stimmt: Es sind nachdenkliche Gedichte. Doch ergibt sich Hohler nie dem Selbstmitleid. Er mischt unter die bangen Fragen eine Prise Humor.
Wird die Sparlampe
die du im WC einschraubst
Brenndauer 10 000 Stunden
länger halten als du?
Besuch vom Schmetterling
Franz Hohler ist ein präziser Beobachter des Alltäglichen. So spürt er seine Bilder mitten im Leben auf. In einem Gedicht fällt sein Blick auf einen Schmetterling, der ihn Mitte Oktober auf seinem Schreibtisch besucht und flatternd an einem der Bücher kleben bleibt.
Du müsstest doch wissen
in meinen Büchern
findest du keine Nahrung.
Sachte
mach ich das Fenster auf
und schon fliegst du
taumelnd davon
in den Tag
und den Tod
ein Bote des Lebens.
Der sterbende Schmetterling ist ein Bote des Lebens. Und: Er ist, da er sich auf Büchern niederlässt, ein Bote des Lesens. Das im Lesen geschulte Auge vermag die Welt in Varianten zu sehen.
Franz Hohler gelingen diese Perspektivenwechsel meisterhaft. Er treibt die Bilder, die er aus dem Alltäglichen schöpft, gerne ins Fantastische weiter.
Der Tod ist nicht mehr politisch
Seit Hohlers erstem Gedichtband «Vierzig vorbei» ist es nun schon fast 30 Jahre her. Schon damals waren das Älterwerden und der Tod Leitmotive. Doch waren die Gedichte der 1980er-Jahre noch deutlich politischer.
Dieser Kampfgeist, der manchmal auch etwas Verbissenes hatte, ist in Hohlers Alterswerk einem gelasseneren Nachdenken gewichen. Hohler begnügt sich damit, die grossen und kleinen Tragödien der Menschen aus einer poetischen Distanz zu betrachten. Das ist etwas nüchterner als früher, aber dafür auch konsequenter.
Shakespeare für Oltner Zungen
Man verzeiht Franz Hohler gerne, dass er kein grosser Lyriker ist. Nicht alle seine Gedichte vermögen zu überzeugen. Nicht alle haben die formale Notwendigkeit zum Gedicht. Oft überträgt Hohler ganz einfach Prosa in Verszeilen.
Stark sind dafür Hohlers Übersetzungen. Wenn er Heine oder Shakespeare in seinen Oltner Dialekt übersetzt, schafft er spannende Differenzen. Berührend auch seine Hommagen an verstorbene Künstlerkollegen: an Urs Widmer oder an den Clown Dimitri.
So bereitet dieser Gedichtband dann eben doch ein lange anhaltendes Vergnügen. Man wünscht sich noch manchen Besuch an Franz Hohlers Schreibtisch.
Sendung: Radio SRF 2 Kultur, Kultur kompakt, 22. März 2017, 13.10 Uhr.