Sie ist in Zürich geboren und aufgewachsen. Trotzdem sei ihr die französische Sprache ein wenig näher, sagt Rebecca Gisler. «Französisch ist im ganz klassischen Sinn meine Muttersprache: Meine Mutter ist Französin. Zu Hause haben wir nur Französisch gesprochen.»
Die 31-jährige Autorin verfasst ihre Texte deshalb meist in ihrer Muttersprache. So war es auch bei ihrem Debütroman «D’oncle», der jüngst mit einem Schweizer Literaturpreis ausgezeichnet worden ist. Noch während der Arbeit an der französischen Fassung übersetzte Gisler eine Passage ins Deutsche – und gewann damit prompt den renommierten Nachwuchswettbewerb «Open Mike» in Berlin.
Wie ein zweites Mal schreiben
Unter dem Titel «Vom Onkel» liegt jetzt der gesamte Roman auf Deutsch vor. Die Übersetzungsarbeit sei ihr mitunter vorgekommen, als würde sie den Text ein zweites Mal schreiben, erklärt Gisler. Es gebe auch einige inhaltliche Unterschiede zwischen den beiden Versionen: «Nachdem das Buch auf Französisch erschienen war, hatte ich etliche Lesungen. Ich habe viel über das Buch geredet und nachgedacht. Mit der Zeit sind mir dann neue Dinge eingefallen, die ich in die deutsche Fassung noch einfliessen lassen konnte. In der französischen fehlen sie nun.»
Zum Französischen habe ich einen unbefangeneren, kindlicheren Zugang. Deutsch hingegen ist meine Schulsprache.
Eine WG mit Onkel, Nichte und Neffe
In dem Roman geht es um einen Onkel, der mit seiner Nichte und seinem Neffen in einer WG in der Bretagne lebt. Sie bilden eine «Vereinigung von Müssiggängern», wie es im Text heisst.
Erzählt wird aus der Perspektive der Nichte: Sie beobachtet ihren Onkel unablässig, beschreibt seinen Charakter und sein Tun. In detailreichen Rückblenden erfährt man, dass der Onkel schon immer ein kauziger Typ war. Ein Eigenbrötler, der sich am liebsten mit Kindern abgab.
Als die Nichte und der Neffe klein waren, hat er viel mit ihnen gespielt. Jetzt sind die beiden erwachsen und der Onkel gesundheitlich angeschlagen. Nichte und Neffe sind zu ihm gezogen, weil sie ihm helfen wollen. Aber wohl auch, weil sie sich nirgendwo anders zu Hause fühlen.
Lange Sätze, die keineswegs langweilen
Getragen wird der Roman von sehr langen Sätzen, denen man aber trotz ihrer Länge problemlos folgen kann. Manch ein Satz erstreckt sich über zwei Seiten.
«In der französischen Version sind die Sätze noch länger», sagt Rebecca Gisler. Der Grund dafür: «Zum Französischen habe ich einen unbefangeneren, kindlicheren Zugang. Deutsch hingegen ist meine Schulsprache. Da bin ich stärker um Korrektheit bemüht, deshalb hatte ich da das Gefühl, mehr Satzzeichen setzen zu müssen.»
Skurril und schwebend
Ob nun mit mehr oder weniger Interpunktion: Die Sätze schaffen eine Atmosphäre, in der man sich bei den Protagonisten in der Bretagne wähnt: am Meer.
Neben den langen Sätzen eine weitere Besonderheit dieses Romans: die genauen Betrachtungen. Mit ihrem intensiven Hinsehen verwandelt sich vieles, was die Nichte beobachtet, in etwas Skurriles. Es erweitert sich und bekommt neue Bedeutungen.
Der Roman von Rebecca Gisler hat dadurch etwas Schwebendes, von dem man sich gerne Seite für Seite tragen lässt.