Schon die ersten 70 Seiten des Romans «Die Projektoren» sind ein Härtetest. Da redet ein Dr. Dulle mit einem Mr. Smith über Nazis, Ernst Thälmann, Old Shatterhand und Tarzan – aber ist Dulle nicht in Wirklichkeit der Psychiater Dr. Güntz, der 1839 eine «Irrenanstalt» bei Leipzig gegründet hatte? Und Mr. Smith eigentlich Dr. May, besser bekannt als «Winnetou»-Autor Karl May, der angeblich mal in der Klinik Patient war?
Die Verwirrung wächst im zweiten Kapitel. 1942, während einer eisigen Nacht im serbischen Novi Sad, unterhalten sich Soldaten über den Führer. Anschliessend sucht ein Mann nach einem Kino, das ihn an seine Kindheit erinnert. Aber ist man zu diesem Zeitpunkt vielleicht schon im Jahre 1957?
Jedenfalls, so wird nach 100 Seiten klar, ist dieser Mann die Hauptfigur des Buches. 1930 geboren und in Belgrad aufgewachsen, war sein grösstes Glückserlebnis das sogenannte «Bioskop», also das Kino seiner Kindheit, und dessen Held Karl May.
Der Einmarsch der Deutschen in Serbien 1941 hatte dem Jungen die Eltern geraubt. 1956 wurde er als Tito-Partisan verschleppt, in die karge Landschaft nahe der kroatischen Küste. Dort wird er «Cowboy» genannt. Nur in Gesellschaft eines alten Schäfers lebt er jahrelang einsiedlerisch, bis in den 1960er-Jahren plötzlich Menschen mit Kameras und Horden von Schauspielern ins Gebirge kommen.
Hier werden nun die berühmten «Winnetou»-Filme gedreht. Der «Cowboy» sieht seine Karl-May-Träume der Kindheit Wirklichkeit werden und wirkt als Schauspieler mit: Nach dem echten folgt nun der gespielte Krieg.
Männer auf der Leinwand
Die Kinoleinwand ist der zentrale, auch symbolische Ort in Clemens Meyers Roman. Es ist die Fläche, auf der Projektoren das grosse Spektakel des Lebens als Western hinzaubern. Der echte Krieg holt den «Cowboy» mit den Jugoslawienkriegen der 1990er-Jahre wieder ein.
Kriegerisch ist auch die Nachwendezeit in der rechtsextremen Szene der DDR. Hier wird wiederum in Männergesprächen die gnadenlose Blut-und-Boden-Ideologie der Nazis und das Ideal vom «Ausmerzen der Schwachen» verhandelt. «Kampf für unser Blut, die Kanaken schicken wir nachhause oder in den Tod», so klingt das dann.
Unendliche Männergespräche durchziehen das Buch: Zwischen Vätern und Söhnen, zwischen Old Shatterhand, dem Genossen Tito, fanatischen Nazis. Männliche Kampfeslust ist die Konstante in diesem unüberschaubaren Panoptikum von Wirklichkeit und Schein.
Komplexe Zeitreise
Im unzähligen Wechseln von Zeiten und Identitäten versucht der Erzähler, das kriegerische 20. Jahrhundert vom Balkan aus und aus der Perspektive eines Partisanen zu besichtigen. Am Schluss des Romans wird der «Cowboy» als alter Mann mit LKW und mobiler Kinoleinwand durch die Dörfer ziehen, geprägt und erschüttert von den Kriegen, die nie zu enden scheinen.
Meyers Buch mit seinem gigantischen Anliegen kommt einerseits massiv überladen, aber streckenweise auch klischeehaft und kitschig daher. Etwa, wenn die masslose Abbildung von meist bewaffneter Männlichkeit allenfalls durch die Liebe zu einer einzigen, natürlich blonden und schönen Frau unterbrochen wird.
Letztendlich hat Clemens Meyer ein äusserst schwer zugängliches Buch vorgelegt, das zwar randvoll daherkommt, ohne kunstvoll komplex zu sein.