«Du bist niemand, solange dich im Netz niemand hasst», heisst es an einer Stelle in Sam Byers Roman «Schönes Neues England». Hasskommentare erhalten im Netz viele Klicks. Und Klicks sind heutzutage die Währung.
Durch Hasskommentaren ist es viel einfacher, seine Wut mit einem Post im Netz loszuwerden, als jemandem die Meinung ins Gesicht zu sagen. Und man kann es vor allem auch anonym tun.
Verhängnisvolles Spiel
Der junge britische Autor Sam Byers kennt diese Mechanismen – und spielt in seinem Buch gekonnt damit. Der Plot ist krimiartig: Tech-Firmen manipulieren das Internet, Politiker nutzen das Netz für populistische Propaganda und Bloggerinnen treiben darin ihr Unwesen.
Im Zentrum der Geschichte steht ein Paar – sie ist Forscherin, er Kolumnist – das seine Beziehungsprobleme immer mehr ins Netz verlagert. Mit Hilfe einer Kunstfigur kommentiert die Frau die Artikel ihres Partners.
Was zuerst als Spiel gedacht ist, um die Beziehung etwas anzuheizen, artet aus. Die Fake-Hasskommentare verändern sowohl ihn als auch sie. Die Grenze zwischen dem realen und dem virtuellen Leben verschwimmt. Am Schluss hat sich das Paar nichts mehr zu sagen.
Das Netz als Kleinstadt
Das Ganze ist in einem fiktiven England nach dem Brexit angesiedet. Auf dem Land, in einer Kleinstadt namens Edmundsbury. Es ist der Sitz von Tech-Firmen und Wohnort von Londoner Intellektuellen und Kulturschaffenden, die sich die City nicht mehr leisten können.
Für Sam Byers ist die Wahl des ländlichen Settings eine Art Scherz. Er findet, das Netz suggeriere eine ähnliche Vertrautheit wie eine Kleinstadt. Leute, die viel im Netz unterwegs sind, glauben alle anderen Leute dort zu kennen. Was natürlich nicht stimmt.
Der Autor und das Netz
Sam Byers ist selber auch im Netz unterwegs. Allerdings nicht mehr so oft wie früher. Das Internet bietet viele Freiheiten – das hat auch ihn am Anfang fasziniert.
Doch heute sieht er auch die Gefahren. «Viele Nutzer können mit diesen Freiheiten noch nicht umgehen», sagt Sam Byers. Er sei dennoch kein totaler Netz-Skeptiker geworden. Er nutze etwa Twitter, aus Facebook habe er sich ausgeklinkt.
Kein Brexit-Roman und doch einer
Den Roman «Schönes neues England» kann man aber auch als Kommentar auf die momentane politische Stimmung im Land lesen – eine Art fiktionale Verarbeitung des Brexit-Dramas.
Sam Byers hat den Roman zu schreiben begonnen, als gerade die Referendumsabstimmung stattfand. Er betont zwar, dass es kein Brexit-Roman sei. Doch die Diskussionen hätten den Roman stimmungsmässig natürlich beeinflusst.
Trotz allem: vergnüglicher Lesestoff
Sam Byers ist ein scharfer Beobachter. So schildert er, wie in der Kleinstadt die Populisten die Post-Brexit-Stimmung für ihre Zwecke nutzen. Und da kommt wieder der Hass im Netz ins Spiel.
Im Roman heisst es: «Der Brexit war vollzogen, aber die Energie, die er freigesetzt hatte, galt es zu nutzen. Ängste mussten umgelenkt werden. Hass brauchte neue Ziele.»
Sam Byers hat eine Mediensatire mit düsterem Unterton geschrieben. Er zeigt darin, wie neue Technologien – in diesem Fall das Netz – uralte menschliche Bedürfnisse nach Anerkennung und Ruhm bedienen.
Der Roman «Schönes neues England» ist dennoch vergnüglich zu lesen, weil er mit frechen Dialogen und umwerfend komischen Milieustudien unterhält.