Eins vorweg: Simone Weinmann ist keine Panikmacherin. Und sie steht auch nicht im Dienste einer abstrusen Theorie. In «Die Erinnerung an unbekannte Städte» beschreibt Weinmann, was sein könnte, wenn der Fall der Fälle – der Klimakollaps – eintrifft. Für ihren Roman stützt sie sich die Physikerin auf ihre Kenntnisse als Wissenschaftlerin.
Dunkel, kalt und karg
Die Geschichte spielt im Jahr 2045. Die Welt ist dunkel und kalt. Ein grosser Teil der Menschheit ist seit 15 Jahren tot. Damals kam es zur Stunde null, an dem sich die Welt schlagartig verändert hat. Die wenigen, die übriggeblieben sind, leben in kargen, bäuerlichen Verhältnissen. Errungenschaften wie Elektrizität und Medizin gibt es nicht mehr. Dafür spielt die Religion eine grosse Rolle.
Hauptfigur des Romans ist der 15-jährige Nathanael, der aus einem «Dorf im Norden» stammt, und die Welt vor der Katastrophe nicht mehr kennt. Er interessiert sich nicht für Religion, sondern will Arzt werden. Deswegen liest er heimlich medizinische Bücher.
Tunnel der Hoffnung
Nachdem ihn seine Mutter aus der Schule nimmt, macht der Jugendliche sich auf den Weg nach Süden, nach Mailand. Dort soll es noch ein Polytechnikum geben, an dem er studieren will.
Zusammen mit seiner Klassenkameradin Vanessa und dem Dorflehrer, der ihn eigentlich zurückbringen sollte, zieht er durch entvölkerte Landstriche und rechtsfreie Räume. Bis er schliesslich den grossen Tunnel erreicht, der ihn hoffentlich an sein Ziel bringt.
Was Simone Weinmann an ihrer Geschichte am meisten interessiert, ist das, was nach der Katastrophe passiert. Sie fragt, wie die Gesellschaft weiterleben kann, wenn alles, was sie bisher ausgemacht hat, plötzlich nicht mehr existiert. Etwa ein Staat, der das Zusammenleben regelt, und ein Rechtssystem, das diesen Namen auch verdient. Oder banale alltägliche Dinge wie ein Feuerzeug zum Beispiel.
Von realen Technologien inspiriert
Die Katastrophe selbst spielt kaum eine Rolle. Sie nimmt nur eine knappe Seite in Anspruch. Dabei lässt Weinmann offen, was genau passiert ist. Sicher ist, dass jemand «etwas an der Atmosphäre gemacht hat», also Partikel freigesetzt hat, die die Erderwärmung stoppen sollten.
Die Massnahme führt aber zu einer Abkühlung der Erde – und einem Massensterben der Menschen. Es bleibt unklar, ob es sich dabei um einen Unfall oder Kalkül handelte. Gut möglich, dass es die einzige Möglichkeit war, die tatsächliche Katastrophe noch zu verhindern.
Damit streift der Roman die Realität. Die Manipulation der Atmosphäre ist machbar und wird bereits diskutiert. Geo-Engineering nennt sich die Methode, die darin besteht, Sonnenlicht reflektierendes Schwefeldioxid in die Atmosphäre zu pumpen.
Eine ganz besondere Dystopie
Die Technologie ist relativ günstig. Ein einzelner, vielleicht besonders schwer von der Klimaveränderung betroffener Staat oder sogar ein einzelner, sehr reicher Mensch könnte sie finanzieren.
Ob diese tatsächlich umgesetzt werden könnte, ist allerdings nicht Weinmanns Thema. Das unterscheidet ihren Roman von vielen anderen Dystopien. Sie will nicht zeigen, was passiert, wenn Undenkbares plötzlich machbar wird, sondern was passiert, wenn gar nichts mehr geht.