Dirk Stermann erzählt das Leben des Orientalisten Joseph von Hammer-Purgstall, der als Kind einfacher Leute in Graz als Josef Hammer zur Welt kommt, als sogenannter Spracheknabe, also Dolmetscher, nach Wien geht und einer der führenden Orientalisten seiner Zeit wird.
Unter den Sprachknaben ist Josef der beste. Aber er ist nicht adelig, dafür eitel und arrogant. Unbedingt will er der Beste sein und als Botschafter nach Konstantinopel. Also arbeitet er wie wild. Lernt Sprache um Sprache und sagt jedem, dass nur er der geeignete Kandidat für den Posten sei.
Keine Chance für den Underdog
Natürlich wird nichts draus. Die Posten kriegen immer die Adeligen. Oder die Speichellecker. Oder die adeligen Speichellecker, was Hammer nun weiss Gott nicht ist. Selbst in seinem geliebten Konstantinopel, wo er schliesslich auf eigene Faust hinreist in der Hoffnung, an Ort und Stelle weiterzukommen, reicht es nur für ein Kellerloch mit Wanzen und Skorpionen.
Also verlegt er sich auf Leistung. Übersetzt die Originalfassung der «Geschichten aus 1001 Nacht». Übersetzt sie aber statt ins Deutsche ins Französische, damit alle Welt sieht, wie schlecht doch die französische Erstübersetzung gewesen ist.
Auch das geht schief. Die Franzosen lassen sich ihre Erstübersetzung nicht vermiesen. Nichts wird’s mit der ersten gültigen 1001-Nacht-Übersetzung. Nichts wird’s mit der Unsterblichkeit.
Trotzdem hat er Verdienste, dieser Josef Hammer. Er ist einer der ersten, der erkennt, dass Orient und Okzident zwei Teile eines Ganzen sind. So übersetzt er nicht nur die grossen Werke der orientalischen Literatur in europäische Sprachen, sondern auch die europäische Literatur ins Türkische und Persische. Im Orient geniesst er dafür bis heute einen ausgezeichneten Ruf.
Allmählich geht es voran
Der Aufstieg des Vaters in den niedrigen Adel macht ihn vom «Hammer» zum «von Hammer», ein unerwartetes Erbe samt Adoption durch eine reiche Witwe macht ihn sogar zum «von Hammer-Purgstall». Und zum Schlossbesitzer in der Steiermark.
Und ganz zum Schluss wird er Gründerpräsident der lang erkämpften Österreichischen Akademie der Wissenschaften. Bis ihn 1848 die nächste Revolution wegschwemmt.
Es ist ein gewaltiges Leben, das Dirk Stermann da beschreibt. Doch das eigentliche Verdienst Stermanns ist das Drumherum, das, was Stermann in dreieinhalbjähriger Recherchearbeit zusammengetragen und zu einem Roman verwoben hat.
Das stinkende Wien zum Beispiel, das mit seinen verwesenden Leichen, mit herumliegenden Fäkalien so drastisch geschildert wird, dass man beim Lesen die Fenster öffnen will. Oder die vielen Begegnungen mit Zeitgenossen und Geistesgrössen: von Haydn bis Beethoven, von Napoleon bis Metternich. Und über allem: die Briefe Goethes.
Dieser Roman ist viel mehr als eine Biografie. Er ist ein Sittengemälde des damaligen Wiens, das einem fremder vorkommt als der Orient. Er ist ein Epochenporträt einer Zeit, in der sich zwei Weltregionen näherkommen und trotzdem nicht verstehen.
Und er ist ein Roman, der gerade darum eine enorme Aktualität besitzt. Denn im Grunde genommen verstehen sich diese beiden Weltregionen auch jetzt nicht, wo Wien bedeutend besser riecht als noch vor zweihundert Jahren.