«Bei allem, was ich in meinem Leben erlebt habe: Am häufigsten heule ich wegen kleiner Dinge», erzählt Nele Pollatschek. «Zum Beispiel, weil ich ganz dringend etwas ausdrucken muss, und dann funktioniert der Druckertreiber nicht.»
Solche scheinbaren Nichtigkeiten seien es doch, die uns im Alltag zermürbten. Kleine Dinge, die, jeweils für sich genommen, nicht schlimm seien. In der Summe jedoch türmten sie sich auf zu grossen Problemen.
Unverwirklichte Träume
Die Autorin Nele Pollatschek ist 35 und lebt in Berlin. Sie glaubt, dass es vielen Menschen so geht: Vor lauter Kleinkram haben sie keine Chance, die eigenen Ziele zu erreichen. Alle ertrinken im Alltag. Niemand gelangt je ans Ende der eigenen To-do-Liste.
«Als junger Mensch haben ja die meisten von uns grosse Träume», so Pollatschek. Man will einen Oscar gewinnen, ein architektonisches Meisterwerk entwerfen, der beste Vater der Welt werden, was auch immer. Aber dann wacht man Jahre später auf und fragt sich: Wo sind die Dekaden hin? Was habe ich die ganze Zeit gemacht – ausser die Spülmaschine auszuräumen und den Müll rauszubringen?»
Grübler mit Aufschieberitis
Über dieses Gefühl, den Anforderungen des Alltags nie wirklich nachzukommen, hat Nele Pollatschek einen Roman geschrieben. Und zwar einen grossartigen. Er heisst wie sein Thema: «Kleine Probleme».
Hauptfigur ist Lars, 49 Jahre alt. Ein Grübler. Und einer, der Sachen immer auf die lange Bank schiebt. Anstatt einfach mit dem Putzen der Wohnung zu beginnen, denkt er darüber nach, dass es doch sowieso unmöglich ist, auf der Welt jemals so einen Zustand wie «Ordnung» herzustellen.
Die Ehe kriselt
Seine Familie winkt inzwischen nur noch ab, wenn Lars ein neues Vorhaben ankündigt. Alle wissen: Er wird es ohnehin nicht auf die Reihe kriegen. Für seine Frau steht die Ehe inzwischen ernsthaft infrage.
Seine Frau heisst Johanna. Und um auf Abstand zu Lars zu gehen, ist sie über Weihnachten verreist. An Silvester wird sie zurückkommen. Das setzt Lars unter Druck.
Am Morgen des 31. Dezember nimmt er sich nun vor, in den wenigen Stunden bis zum Jahreswechsel sämtliche Dinge zu schaffen, die bislang unerledigt geblieben sind. Und «bislang» bedeutet: sein ganzes Leben. Er will seiner Frau beweisen, dass er doch kein Versager ist.
Unterhaltung mit Tiefgang
Lars erstellt eine To-do-Liste mit 13 Aufgaben. Darunter einfachere Dinge wie «Putzen», mittelschwere wie «Steuererklärung» und komplizierte wie «die Ehe retten» und sein «Lebenswerk» zu verfassen. Letzteres war nämlich schon immer sein grosser Traum: ein Buch zu schreiben.
Die Liste ist illusorisch. Lars kann eigentlich nur scheitern. Doch ihm bei diesem Scheitern zuzuschauen, ist ein absolutes Lesevergnügen.
«Kleine Probleme» von Nele Pollatschek ist das, was man «Unterhaltung mit Tiefgang» nennt. Spannend, witzig, berührend und klug. Ein Roman voller Slapstick, aber nie albern. Ein Roman voller philosophischer Gedanken, aber nie zu abgehoben.
Ein Podcast über Bücher und die Welten, die sie uns eröffnen. Alle zwei Wochen tauchen wir im Duo in eine Neuerscheinung ein, spüren Themen, Figuren und Sprache nach und folgen den Gedanken, welche die Lektüre auslöst. Dazu sprechen wir mit der Autorin oder dem Autor und holen zusätzliche Stimmen zu den Fragen ein, die uns beim Lesen umgetrieben haben. Lesen heisst entdecken. Mit den Hosts Franziska Hirsbrunner/Katja Schönherr, Jennifer Khakshouri/Michael Luisier und Felix Münger/Simon Leuthold. Mehr Infos: www.srf.ch/literatur Kontakt: literatur@srf.ch
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