Das Schlussbild ist legendär: Der einsame Cowboy reitet auf seinem treuen Pferd Jolly Jumper in den Sonnenuntergang. Er hat Banditen gejagt, Schwache und Arme vor Übergriffen beschützt, Indianer in ihrem Kampf gegen unehrliche Weisse unterstützt, kurz: Er hat im gesetzlosen Wilden Westen dem Recht zur Geltung verholfen.
Im Dienst und Schatten des Helden
Über Lucky Luke wissen wir deutlich mehr als über Morris, der im Schatten seiner Figur gelebt hat.
Der Belgier Morris kommt am 1. Dezember 1923 als Maurice de Bevere zur Welt und war seit seiner Kindheit ein glühender Fan des Wilden Westens. 1946 zeichnet er die erste Geschichte um Lucky Luke.
1948 reist Morris in die USA, wo er ganze sechs Jahre lebt und viele Eindrücke, Bilder, Informationen, Dokumente rund um den Wilden Westen sammelt, die er in die «Lucky Luke»-Geschichten einfliessen lässt. In New York lernt er René Goscinny kennen, der ab 1955 die «Lucky Luke»-Geschichten schreibt.
Outlaws und Temperenzlerinnen
Die Kombination aus Goscinnys Witz und rasanter Erzählweise und Morris' schmissigen Zeichnungen machen aus «Lucky Luke» bald eine der erfolgreichsten frankobelgischen Comicserien.
Munter vermischen Morris und Goscinny Fiktion und Fakten. Viele Abenteuer spielen sich vor historischen Kulissen ab: der Eisenbahnbau, die Indianerkriege, der Aufbruch in den Westen, der Kampf der Frauen gegen Alkoholismus.
Immer wieder kreuzen historische Figuren Lucky Lukes Weg – Outlaws, Indianerhäuptlinge, Politiker, Zirkusdirektoren und andere, Legenden wie Billy the Kid und Calamity Jane beispielsweise.
Überzeichnung, Stereotypen, Karikaturen
Wichtiger als die historische Genauigkeit ist jedoch der Humor: Parodie und Karikatur sind das Prinzip von «Lucky Luke». Alle Figuren werden überzeichnet, innerlich wie äusserlich, ungeachtet ihrer Hautfarbe. Auch die Weissen karikiert Morris mittels Stereotypen.
Ausserdem sind Morris' Karikaturen nie boshaft, nie abschätzig. Man spürt seine Liebe und seinen Respekt für seine Figuren. Das ist vermutlich der Grund, warum Morris, obschon seine Darstellung der Native Americans nicht mehr zeitgemäss ist, bis heute nicht ernsthaft dafür angeprangert wurde.
Und immer ist es lustig
René Goscinnys früher Tod war eine Zäsur. Nach 1977 arbeitete Morris mit anderen Autoren. Keiner hatte die Qualitäten von Goscinny, und doch blieb «Lucky Luke» erfolgreich.
Zu diesem Zeitpunkt war «Lucky Luke» so populär, dass die Serie quasi ein Selbstläufer war. Man darf aber Morris' Bedeutung für den Erfolg nicht unterschätzen: Weil Morris sich gerne im Schatten seiner Figur aufhielt, vergisst man manchmal, welch hervorragender Zeichner er war.
Morris war nicht nur ein grossartiger Karikaturist, der seine Bilder mit zahllosen witzigen Details füllte, sondern auch ein virtuoser visueller Erzähler. Er erzählte filmisch, er variierte dynamisch die Grösse der Einzelbilder, er beherrschte die Kunst der Seitenaufteilung und setzte auch Farben und Schattenrisse dramaturgisch geschickt ein. Und immer ist es lustig.
«Lucky Luke» ist klassisches Comic-Handwerk und hohe Kunst zugleich.
Der Zeichner stirbt, die Figur lebt weiter
Morris starb 2001, doch hatte er noch zu Lebzeiten seine Nachfolge geregelt. Er wollte, dass Lucky Luke auch ohne hin weiterlebt. Nicht er, Morris, war wichtig, sondern seine Figur.