Die Wiederkehr ist beinahe unheimlich: Wir kennen diesen Mann. Der Mann, der mit seinem leeren Kinderwagen für einen Moment aus dem Basler Feierabendverkehr tritt, und dessen Leben nun erzählt werden soll: Wir kennen ihn aus anderen Büchern.
In «Hagard» von Lukas Bärfuss stolpert ein ebenso karrieremüder Mittvierziger aus den Bahnen der Gesellschaft. Und auch in Peter Stamms und Jonas Lüschers jüngsten Büchern beschreitet dieser Typus seinen literarischen Abgang.
Ein Leben aus Filmzitaten
Lukas Holliger ist ein Dramatiker. Und somit stellt er dem von Ausstiegsphantasien geplagten Klaus Halm einen Doppelgänger zur Seite: Es ist der Erzähler dieses Buches, ein arbeitsloser Filmvorführer.
Tagsüber fährt er die Basler Tramlinien rauf und runter und fantasiert sich dabei ein zweites Leben aus Filmzitaten zusammen. Als ihm Klaus Halm über den Weg läuft, klinkt er sich kurzentschlossen in dessen Leben ein. Es ist der sprichwörtliche Halm, an den sich Verzweifelte klammern.
«‹If you meet your double, you should kill him›, sagt Hitchcock. Aber dieser Halm ist nicht mein Doppelgänger, dieser Halm ist mein Gegenteil.»
Unzuverlässiger Erzähler
Weil dieser arbeitslose Filmvorführer kein zuverlässiger Erzähler ist, sind Zweifel an Klaus Halms Existenz angebracht. Ob existent oder nicht, verbindet Halm immerhin all jene Attribute, aus denen sich früher einmal solide Männer-Identitäten zusammensetzen liessen. Halm hat eine Frau (eine Schauspielerin), einen Sohn (neu geboren), eine Wohnung (neu eingerichtet) und ist Inhaber eines Papeteriegeschäfts.
Diese Papeterie steht jedoch bereits im Zeichen des drohenden Niedergangs. Denn das Geschäft, das Halm unverhofft von seinem Vater geerbt hat, ist wie Halms gesamtes Lebensgefüge vom Konkurs bedroht. Klaus Halm ist ein Epigone im Reich der unbeschriebenen Papiere und ihm fehlt eine zündende Geschäftsidee.
Abgeschriebene Medien
Klaus Halm verkauft Papier, auf dem niemand mehr schreiben will. Nur der Erzähler, der in der Nacht alte Filme auf VHS-Kassetten abspult, kauft bei Halm ein Notizbuch, in welches er den Roman zu kritzeln beginnt, den wir hier lesen.
Der Film wie auch das Papier sind allmählich aus der Zeit gefallene Medien. Kein Wunder, plagen diese beiden Männer Auslöschungsphantasien. Ihre letzte Zuflucht finden sie dann in jenem Sonderfall, der die Literatur und den Film einst unsterblich machte: der Liebe.
Die Sinnkrise der Männer
Das alles hat im Grunde für einen packenden Roman gereicht: Besonders da die französische Grenzgängerin Yvonne, die Klaus Halm zu regelmässigen Grenzübertritten veranlasst, ein neues Medium in die Erzählung einführt: das SMS. Denn der Kanal der Liebe ist im beginnenden 21. Jahrhundert die Kurznachricht.
Nun hat Holliger in seinem Leben entweder zu wenige Kurznachrichten geschrieben oder er hat sein Buch einfach zu lange mit sich herumgetragen. Dabei hat er es vollgepackt mit langen Serien präziser Beobachtungen, mit fiesen Pointen und humoristischen Einlagen aus dem Basler Alltag. Sie hallen nach.
Doch hätte uns Holliger seine Geschichte gar nicht bis ins letzte Detail erzählen müssen. Wir hätten ihm auch so geglaubt. Und so wird dieses Buch allmählich zu einer langen Therapiesitzung, über der man vergisst, was diesen Männern eigentlich fehlt. Die Sinnkrise der Männer: Sie ist eine Komödie. Und je kürzer sie dauert, desto besser.